Re: Riverside – Second life syndrome

#5902567  | PERMALINK

irrlicht
Nihil

Registriert seit: 08.07.2007

Beiträge: 31,447

1. After (**** 1/2)
2. Volte-face (**** 1/2)
3. Conceiving you (*****)
4. Second life syndrome (*****)
5. Artifical smile (*** 1/2)
6. I turned you down (****)
7. Reality dream III (**** 1/2)
8. Dance with the shadow (**** 1/2)
9. Before (****)

Als „Second life syndrome“ vor acht Jahren erschien, hat es mich umgehauen. Es ist ganz interessant, dieses Album heute, nach langer Zeit wieder zu hören, nach vielen Monaten, in denen mir Progressive Rock tatsächlich immer fremder wurde. Aber es gibt nicht viel mehr zu sagen, als dass dieses Album auch heute noch großartig ist. Das zweite Album der Polen ist düsterer als noch „Out of myself“, baut verstärkt auf Metalriffs, ist traditionsbewusst, dabei aber selten eklezistisch. Oft wurde es mit Porcupine Tree verglichen, während die Herangehensweise des Quartets um Mariusz Duda doch stets eine andere ist. Bereits „After“ ist ein brodelndes Tasten im Hall, merstimmig vorgetragen, mit dezenter Percussion und den für Riverside zu jeder Zeit umwerfenden, ganz klaren Gitarren (die manches Mal durchaus an David Gilmour erinnern). Es ist eine positive Überraschung, dass diese Band einen Sänger voranstellt, der mühelos vom Flüsterton zum Growl wechselt, klar und leidenschaftlich singt, aber auch mit feinen Akzenten und wirren Kontrasten. Ebenso faszinierend ist die Rhythmussektion : Wie sich etwa in „Volte-face“ der klirrende Krach durch die Synthieflächen schaufelt, wie sich Metalriffs mit Orgeln abwechseln und gegen Ende Hohlräume für freie Beckentupfer-, Percussion- und Klaviereinsätze entstehen; in „Conceiving you“ perlen Klaviermelodien und weichfühlige Gitarren zu einem theatralischen Text, hauchend gesungen und mit viel Hall (und etwas Kitsch); und der Titeltrack versammelt alles, was Riverside ausmacht: Ein sphärischer, verhallter Beginn, eine zunehmend aufbrausende Rhythmussektion, die immer dynamischer und getriebener wird – dann der Break, harte Metalsalven, scheuernde Gitarren, dominante Keyboards – dann wieder Schnitt, Übergang zu elegischen, flächigen Synthies und innbrünstigem Sprechgesang. Ein dezentes Klavier flimmert durch den Raum, Duda wimmert „I erase you now with all of my past“ und dann der Übergang ins leise Knisternde, in die Welt aus düsteren Landschaften aus Hall, verzerrten Gitarrenparts, lautmalerischen Gesängen und brodelnden Bässen. Hexenkessel!

Kurz: Ich mag diese Mischung aus rabiaten, grellen, schwefelversäuchten Kampfszenen, aus weinenden, elegischen Gitarren, aus fließenden Synthies und langsam anschwellenden Bässen, aus Stoik und Sinnlichkeit. Wenn ich etwas an diesem Album kritisieren kann, dann den Hang der Band, einige Stellen zu fokuslos zu gestaltet. Etwa in „Volte-face“ oder auch „Dance with the shadow“ reißt gegen Ende der Faden und ich habe die Wahrnehmung, dass die vier noch zwanghaft ein paar Minuten dran schrauben mussten (warum auch immer). Die Growls finde ich des weiteren eher überflüssig – Riverside nutzen es zwar als seltenes Stilmittel, bei Dudas klarem, leidenschaftlichen Gesang hätte ich darauf aber verzichten können. Letzter Kritikpunkt: Die Texte. Man sollte es sich sparen, sie zu lesen, denn allzu viel mehr als Theatralik und Floskeln gibt es darin leider nicht. „Second life syndrome“ befasst sich mit dem Leben nach und während dem Fall, nach dem Beziehungsaus, nach Schmerz und Enttäuschung. Im letzten Song werden diese Worte auch aufgegriffen („I’ve become addicted to being strong/Started out my second life“), es ist aber recht plump, wie es beschrieben wird. Ich falle in die Dunkelheit, ich verliere mich selbst, ich fühle den Schmerz, ich spüre Deine Lügen, jetzt, nach so langer Zeit und ich kämpfe mich nun frei und erwache neu, ohne Angst – so in dieser Art. Relativ typisches Düsterheimerallerlei. Egal, starkes Album (**** 1/2).

--

Hold on Magnolia to that great highway moon