Re: Zeitlosigkeit als Qualitätsbegriff

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daniel_belsazar

Registriert seit: 19.04.2006

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„Zeitlos“ wird in der Regel synonym zu „universal gültig“ – also über Zeit und Raum hinweg oder vielleicht besser, weil die menschliche Lebenswelt damit einbezogen wird: durch Zeit und Raum hindurch – genutzt.

Dabei kann das Wort selbstverständlich adjektivisch und nicht nur adverbial angewendet werden, wie etwa in dem klassischen Ausdruck „zeitlose Wahrheit“. Theologisch gibt es die natürlich im übrigen, da muss man aber dran glauben. Es ist philosophisch dagegen nicht unumstritten, ob es zeitlose Wahrheiten gibt. Der Streit darum hat aber mittlerweile solche langwierigen historischen Dimensionen angenommen, dass ich geneigt bin, wenigstens diesen als zeitlos anzusehen.

Die Frage, ob der Begriff „zeitlos“ auf Kunstwerke – und ein musikalisches Kunstwerk würde dazu zählen – sinnvoll angewendet werden kann und sollte, gibt es bereits ein bisschen länger. Nach dem obigen Synonym würde dies bedeuten, dass man einem Kunstwerk eine universale Gültigkeit zuschreibt, d.h. in dem Kunstwerk würde sich eine Wahrheit ausdrücken, die durch Zeit und Raum hindurch gelten können muss.

Ist dies jedoch bereits philosophisch mit immerhin argumentativ nachvollziehbaren Regeln der Vernunft sehr vertrackt, um wieviel mehr muss dies für einen letztlich nicht überprüfbaren Anspruch wie den eines Kunstwerkes gelten. Es läuft damit auf das Gleiche wie bei der Theologie hinaus: Man muss dran glauben, oder eben auch nicht.

Und zwar nicht nur, dass es zeitlose Wahrheiten gibt – was auf pragmatisch-menschlicher Ebene eine hohe Plausibilität hat, im Sinne von „jeder muss sterben“ -, sondern dass diese auch ihren Ausdruck in einem Kunstwerk finden können. Und darüberhinaus auch durch das Werk als solche wahrgenommen werden können. Es sind ja auch zumeist die um Liebe, Tod und Teufel ringenden Werke, denen Zeitlosigkeit zugeschrieben wird.

Die Bezeichnung eines Musikstücks als „zeitlos“ ist also eine zwar durchaus gängige, aber in näherer Betrachtung mithin nicht immer sehr durchdachte Praxis. Der implizierte Anspruch ist weder trivial noch eigentlich wirklich einlösbar. Er muss zwangsläufig auf innere Erfahrung rekurrieren – und schon sind wir mitten in der Religion mit Einweihung, disziplinierten Priesterschaften, Erleuchtungen und dem ganzen Schmonzes.

Dabei ging es doch nur um Sex, Drugs & Rock’n’Roll. Eigentlich zeitlos ….

P.S: Man kann natürlich auch, wie Adorno es beispielsweise getan hat, den Begriff Zeitlosigkeit profanisieren. Kunstwerke sind deshalb zeitlos, weil sie die Zeiten überdauern können, also über viele Generationen hinweg Wirkung entfalten können (was für Musik noch nicht so lange der Fall ist wie für Literatur und Bilder). In diesem Sinne wohl sagte er unter anderem:
„.. dass Kunstwerke zeitlos sind, dass sie nicht sterben können – verleiben sie sich als Ausdruck von Grauen unmittelbar ein.“

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The only truth is music.