Re: The Class of ’82

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zappa1
Yellow Shark

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Ich muss hier auch erst mal etwas weiter ausholen.
Ich muss otis hier zustimmen, die Grabenkämpfe, wie sie hier von Bender und z.T. auch von Roland beschrieben wurden, habe ich so auch nicht erlebt. Obwohl ich auch ein Ende60/Anfang70-Sozialisierter bin.
Vermutlich war es zu Beginn der 70er auch einfacher, da es diese verschiedenen Kategorien ja noch nicht in dem Ausmaß gab. Dazu habe ich immer zu denen gehört, die sich grundsätzlich für alles, was es „Neues“ gab interessierten. Selbst bei uns in der Schule gab es diese Gruppierungen nicht. In meiner Schulclique waren von den Jesuslatschenträgern über den kleinen Möchtegern-Punk und Tony Maneros alle vertreten. Und auf Parties wurden am Abend nach „Echoes“ ganz friedlich „Anarchy“ und danach „Santa Esmeralda“ aufgelegt. Und selbst in meinem Plattenregal haben sich „Soft Cell“ neben „Santana“ noch nie größere Kämpfe geliefert.
In meiner ausserschulischen Clique waren wir sowieso musikalisch ziemlich auf einer Wellenlänge und eben auch an allem interessiert.
Leute, die grundsätzlich die eine oder andere Musikrichtung ablehnen, ohne dass sie sich überhaupt damit beschäftigt haben, konnte ich noch nie verstehen. (Okay, ich gestehe, bei Country hatte ich diese Scheuklappen auch)
Genauso Leute, für die alles immer „echt“ und „handgemacht“ sein muss.
Dieser Quatsch hat mich damals schon geärgert.
Aber die gab es nicht erst Ende der 70er, die gab’s schon vorher. Ich musste mir auch die eine oder andere dumme Bemerkung anhören, als ich von „Kraftwerk“ oder „Neu!“ begeistert war.
Wo ich anfangs auch eher skeptisch war, das war die aufkeimende „Disco-Welle“, was aber weniger mit der Musik zu tun hatte. Die fand ich größtenteils recht ansprechend. Was ich damals sehr ärgerlich fand, war der Verfall der Münchner Disco-Szene hin zur Schicki-Micki Szene. Was wohl der Hauptgrund war, dass ich damals mit einem „Folter für Travolta“-Aufnäher auf meinem Parka rumlief. Sehr originell, ich weiß…
Was den Sommer 1982 anbelangte, war ich von der Musik sehr angetan.
Wobei ich anfangs nicht viel mitbekam. Das lag daran, dass ich im
April 1982 zur Bundeswehr kam und zumindest die ersten drei Monate dort mit viel schlimmer Musik malträtiert wurde. Ausserdem war ich zu dieser Zeit unglücklich verliebt (unbegründet, wie sich später herausstellte…) und mich Depeche Modes „See You“ durch diese Zeit begleitete und „lebensrettend“ für mich war.
Das änderte sich dann schlagartig, als ich Ende Juni nach Feldafing am Starnberger See versetzt wurde und dort mit vier Typen auf meiner Bude zusammenkam, wo wir sofort merkten, dass zwischen uns die Chemie absolut stimmt, vor allem auch auf Musik bezogen. Und so machten wir damals die Discos in Starnberg und Tutzing unsicher. Schon deshalb wurde dieses Jahr sowohl musikalisch aber auch insgesamt für mich ein gewisser Neuanfang. Raus aus den runtergekommenen Haschisch-Buden rein in die Neonwelt der 80er. Dazu lernten wir einen netten DJ kennen, der uns immer über alle Neuigkeiten informierte und uns, nachdem er ja wusste, dass wir armen Vaterlandsverteidiger wenig Kohle hatten, auch Mixtapes und neue Platten aufnahm.
Ich fand diese Zeit sehr aufregend, vor allem, weil meine sowieso schon vorhandene Liebe zum „Pop“ noch größer wurde. Dazu begann ich in der Zeit auch die Discos der Münchner Gay-Szene aufzusuchen, womit ich dann auch endlich mit „Disco“ meinen Frieden geschlossen hatte.

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„Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“ (Goethe) "Allerhand Durcheinand #100, 04.06.2024, 22:00 Uhr https://www.radiostonefm.de/naechste-sendungen/8993-240606-allerhand-durcheinand-102