Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › The Class of ’82 › Re: The Class of ’82
Nun gut, ich habe den RS-Artikel (bisher) nicht gelesen – und wage mich jetzt trotzdem an die Materie heran… Vor allem auch quasi als „Zeitzeuge“, der sehr wohl den „Popsommer“ 1982 mit erlebte – aber seinerzeit diesem eher skeptisch, ja eigentlich schon gegnerisch gegenüber eingestellt war (wohl aufgrund meiner absoluten Bewunderung für die krachigen/düsteren/minimalistischen/kalten Postpunk-/Industrial-Bands dieser Ära – Stichwörter: Joy Division, Cabaret Voltaire, Throbbing Gristle, Wire, etc.). Obwohl mich diverse VÖ’s begeisterten, zeigte ich mich in Ausdruck und Haltung den (mir damals so erscheinenden) „glatten“ Bands und ihren Anhängern feindselig gegenüber. Ein Fehler, den ich später (gerne) einsah. Mittlerweile gehören die damaligen Outputs von Orange Juice, Aztec Camera, Josef K., (das erste) ABC (-Album), Heaven 17, Fun Boy Three, Associates, Simple Minds, etc. zu einer festen Besetzung meiner Musikhörer-Vita.
Wie kam es zu dem Phänomen „New Pop“? Gleichzeitig begleiteten unsympathisch wirkende, als auch sehr zu begrüssende Statements diese neuen, agil und irgendwie auch (gewollt) antseptisch und irgendwie forsch-kommerziell auftretenden (beinahe irgendwie materiell orientiert wirkenden) Bands. Postpunk wanderte verstärkt in die selbsterwählten Nischen der Independents und deren Charts ab – um die z.T. heroisch verstandene Abgrenzung zum Mainstream-Popbiz demonstrativ zu unterstreichen. DIY als kulturelle Revolte gegen das Popgeschehen begann nach altem (Hippie-)Muff zu riechen – trotz allem Minimalismius, aller Düsternis und Ablehnung gegenüber alter Rockklischees – und aller demonstrativ rausgehängter (mal mehr, mal überhaupt nicht vorhandener, stylischer) „New Wave“-Aufrichtigkeit. Postpunk begann selbst in seiner Beschränkung als Klischee zu erstarren – ein Rückfall in eine Art kruden Neo-Rockismus erschien aufstrebenden jungen Bands als absolutes Gräuel. Wieso sollte durch den Rückzug (eigentlich) guter Bands – die augenscheinlich in ihrer Depression erstarrten – wirklich schlechter Musik in den Charts freie Bahn gegeben werden? Das konnten und wollten die „New Pop“-Bands a la Heaven 17, ABC, Orange Juice, Haircut 100, Simple Minds, Associates oder ganz besonders (die ehemaligen DIY-Marxisten-Punks) Scritti Politti nicht zulassen. Eine um die Ecke gedachte Subversion und Infiltration der Charts strebten diese an. Diese Bands wollten mit einem designed wirkenden sauberen Sound, einem Mix aus himmelhochjauchzendem 60s Pop, Disco, Funk, Velvet Underground-Nostalgie, New Wave-Ästhetik und ihrer alten Punk-Energie und auch manchmal vielen Synthies und/oder künstlichen Streicherarrangements die Hitlisten knacken. Mit Substanz – und der Vorstellung einer Dekonstruktion des Pop, direkt aus dessen Mitte heraus. Ein auf den ersten Blick schmalziges und einfach nur auf catchy und „schön“ gemacht wirkendes Pop-Album a la „The Lexicon Of Love“ wirkt auf den zweiten Blick tiefsinniger und fast schon boshaft demaskierend. Zeigt das Frontcover eine tiefromanische (und zu Tränen rührende) Kitschszene, so entlarvt das Backcover diese als inszenierte Schmierenkomödie. Wen wundert es als Eingeweihten, daß gerade noch kurz zuvor ABC als Vice Versa einen typischen Sheffield-orientierten düsteren Minimalelektro-meets-Industrialsound drauf hatten, der Cabaret Voltaire in nichts nachstand – und mit Songs wie z.B. „Riot Squad“ eher Stoff für die Mutantendisco ablieferten…
Ebenso Heaven 17. Abgespalten von den damals noch sterilen, eher strikt dem eiskalten Electro-Dogma verschriebenen Human League, begannen diese sehr schnell zu swingen. Nach dem hölzern wirkenden (aber genialen) (White-)Electro-Funk-Stück „(We Don’t Need This) Fascist Groove Thang“, in dem sie ihre traditionelle Sheffield-Musikszene-„Antifa“-Haltung zum Ausdruck brachten, steuerten sie mit „Penthouse And Pavement“ ihr Scherflein zum kommenden „New Pop“-Sommer bei. Und wie: Die eigentlich dem linken Spektrum nicht abgeneigten Musiker posierten auf dem Cover als vielbeschäftigte und versierte (Musik-)Business-Yuppies („The New Partnership – That’s opening doors all over the world“ – ). Gewollte eingängige Poppigkeit und ein Streben nach den Hitlisten waren selbstverständlich. Aber nur vollkommene Ignoranten verstanden diese Ironie nicht…
Jetzt könnte ich noch munter weitere „New Pop“-Bands (ich verweise an dieser Stelle explizit auf die hervorragenden Associates, man höre deren Singles „Party Fears Two“, „Club Country“ oder „18 Carat Love Affair“, etc.) nach ihren Intentionen aufdröseln, was diesen Thread vollkommen sprengen würde… – es sei nur gesagt, daß das öffentlich ausgestellte Streben nach Vitalität, cleaner Attitüde, Erfolg (sei dieser auch „subversiv“ ausgelegt), und besonders die totale Verweigerung von Rockklischees manchmal ein wohlwollendes Kopfnicken verursachten – aber allzu oft auch in angestrengter Pose endeten, deren eine gewisse Arroganz nicht abzusprechen war. Manchmal schoß man über das Ziel hinaus – und zeigte den Gegnern die verwundbare Seite: Denn nicht lange danach zierten die „Kill Ugly Pop“-Graffitis viele Mauern im UK – der (übrigens von Gitarren dominierte) „Underground“ bereitete sich zum „Gegenschlag“ vor. Und ausgerechnet das den grossen Popgesten nicht abgeneigte (und anfangs den überholten Rockistenklischees ebenfalls überdrüssige) neue Musikgenre (und zweite „Pop“-Sensation des Jahres 1982) „Batcave“, bzw. „Positive Punk“ (später „Gothic“) begann, sich zu einem der erklärten Gegner des „New Pop“-Movement aufzuschwingen. Und welche Ironie, stand mit einem Bein ein „Popheld“ des Jahres 1982, Marc Almond mit einem Bein in dem einen und mit dem zweiten Bein in dem anderen…
Naja, ich entschied mich in meinem jugendlichen Leichtsinn (ich habe diesen aber nie wirklich bereut…) damals für die Alien Sex Fiend-/Sex Gang Children-/Dance Society-/Sisters Of Mercy-Fraktion. Aber der Popsommer 1982 ist trotzdem rückblickend einer der schönsten meiner Erinnerung… (und später wurden fast alle der ganzen New Wave/Düstermänner- und -frauen doch noch gestandene Popper, siehe Siouxsie, The Cure, Nick Cave & Co. ).
--
I mean, being a robot's great - but we don't have emotions and sometimes that makes me very sad