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Joliet Jake
Ich halte Dialekte sowohl aus sprachlicher, kultureller und gesellschaftlicher Sicht für wertvoll und unverzichtbar.
Wertvoll ganz zweifellos, unverzichtbar? Die Realität ist eine andere.
Der „Komödien-Stadel“ und der „Bulle von Tölz“ sind nur dialekt-orientiert, da wurde nur eine Art von „Lokal-Kolorit“ als extrem reduziertes Stilmittel eingesetzt.
Wie denn auch sonst? Sobald man sich an ein überregionales Publikum wendet, wird man einen authentischen Dialekt nicht mehr verwenden können (außer in Einzelfällen als „OmU“, was es auch schon gegeben hat), andererseits wäre es Quatsch, den Bullen von Tölz lupenreines Hochdeutsch sprechen zu lassen. Schriftsprache – oder heutzutage: mediale Sprache – war immer schon etwas anderes als gesprochene Sprache, schon zu karolingischer Zeit, als die ersten Texte in althochdeutscher und altsächsischer (= altniederdeutscher) Sprache entstanden. Die Schreiber mussten versuchen, aus den zahllosen lokalen und regionalen Varianten etwas allgemein verständliches zu schaffen.
Weil ich der festen Überzeugung bin, daß ein echter Dialekt sowohl in Wortschatz als auch in seiner Ausdrucksfähigkeit dem Hochdeutschen weit überlegen ist. Wofür mir im Hochdeutschen (und ich glaube mich ausreichend variabel ausdrücken zu können) nur wenige Möglichkeiten zur Verfügung stehen, habe ich im Gegensatz dazu im echten Dialekt ungleich mehr Möglichleiten. Ich habe auch keinen Anhaltspunkt dafür, daß es bei anderen Dialekten anders sein sollte. Ein echter Dialekt ist nach meiner Überzeugung reicher in Wortschatz und Ausdrucksfähigkeit als es das Hochdeutsche sein kann.
Damit wertest Du aber die Sprache derjenigen ab, die nichts anderes als Hochdeutsch sprechen (können). So geht es mir z.B., in der Gegend von Detmold wird zwar das Niederdeutsche (Plattdeutsche) als Brauchtum gepflegt, es spielt im Alltagsleben aber keine Rolle mehr. Doch das gesprochene Hochdeutsch ist durchaus noch erkennbar vom Plattdeutschen beeinflusst. Ich denke, das ist überall so, nirgends wird ein reines Hochdeutsch gesprochen (auch nicht in Hannover, wie die Legende immer besagt), überall gibt es dialektale Einflüsse.
Die Dialekte haben natürlich ihren Reiz und ihre Stärken, vor allem bei der differenzierten Beschreibung von Alltagsphänomenen. Aber schon das Schlüsselwerk des (Frühneu-)Hochdeutschen, Luthers Bibelübersetzung, widerspricht der These, dass die Ausdrucksmöglichkeiten des Hochdeutschen begrenzt wären. Wie gesagt, Schriftsprache ist etwas anderes als gesprochene Sprache. Literaten und Gelehrte haben in den letzten 500 Jahren der hochdeutschen Schriftsprache zu einem größeren Reichtum verholfen, als sie eine lokal begrenzte Sprechergemeinschaft jemals entfalten könnte. Das Hochdeutsche ist nicht der kleinste, sondern der größte gemeinsame Nenner.
Im übrigen glaube ich, dass der Vergleich zwischen Dialekt und Hochsprache der zwischen Stax und Motown ist.;-)
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