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Herr Rossi@Ah Um: Eben, deswegen ist ja vom „hohlen“, „schlimmen“ oder „übertriebenen“ Pathos die Rede, das zeigt doch immer noch, dass es auch ein anderes Pathos gibt. Aber von diesem anderen Pathos bzw. Pathos im allgemeinen Sinn ist explizit kaum noch die Rede.
Man darf den Cash-Stil nicht absolut setzen, zumal der so pulvertrocken und beherrscht („in Stein gemeißelt“) nun wirklich nicht ist. Macht man denn einem Sam Cooke, Marvin Gaye oder irgendeinem anderen Soulsänger den Vorwurf, dass er mit Verve singt? Man hätte denen genauso vorhalten können, dass das alles zuviel ist (und dann auch noch mit großem Orchester untermalt …). Bonos Gesangsstil ist vom Soul geprägt und er weiß dessen Stilistik in seinen besten Songs durchaus angemessen einzusetzen. Aber weil sich irgendwann das Urteil verfestigt hat, dass Bono prinzipiell ein „pathetischer“ Sänger sei, hört man eben nicht mehr hin. Dabei muss man doch nur mal so Leute wie Curtis Stigers oder Michael Bolton zum Vergleich hören, dagegen erweist sich Bono auf Songs wie „One“ als geradezu subtiler Sänger.
Ich mag ja Sam Cooke und Johnny Cash auch lieber, weil sie insgesamt ein weitaus eindrucksvolleres Werk vorgelegt haben, aber Bono ist nicht so schlecht, wie er gerne gemacht wird.
Nein, ich will hier nicht Johnny Cashs Gesang „absolut setzen“. Er war nicht der größte und schon gar nicht der flexibelste Sänger unter der Sonne. Aber er hat nach meinem Empfinden gerade bei diesen American-Aufnahmen den Ton zumeist perfekt getroffen. Doch selbstverständlich sind Cashs Interpretationen auch nur eine von viele Möglichkeiten, diese Songs zu singen (wenn auch eine sehr, sehr gute).
Und nein, natürlich spricht nichts gegen Verve und Expressivität. Es ist eine Frage der Dosis und auch der musikalischen Kompetenz. Der Begriff „Soul“ ist so ziemlich das Letzte, was mir im Zusammenhang mit Bono einfallen würde. Ich denke, dass Sänger wie Gaye oder Cooke über eine durchaus grundlegend andere Musikalität verfügen. Da ist eine ganz andere Geschmeidigkeit, ein anderes Timing, ein ganz anderer Groove am Werk. Macht ja auch nix. Es muss ja nicht jeder Soul-Sänger sein. Bono ist für mich jedenfalls keiner, noch nicht mal ein schlechter.
Ich finde aber auch nicht, dass Bono ein guter Rock-Sänger ist. Eben weil er das Pathos (:angel:) zu dick aufträgt. Weil er zu krampfhaft an jeder Silbe zerrt. Und auch wenn dies schon oft geschrieben worden sein mag, so trifft es dennoch mein Empfinden, wenn ich Bono singen höre. Aber es ist natürlich nur ein subjektives Empfinden. Wenn andere in Bonos Gesang große Anmut oder ihre tiefsten Gefühle ausgedrückt finden, dann liegt es mir fern, mich zum Richter über deren Empfindungen aufzuschwingen.
Und zu Michael Bolton sage ich lieber gar nichts, sonst müsste ich noch Bono loben.
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There is a crack in everything; that's how the light gets in. (Leonard Cohen)