Re: THE FELICE BROTHERS – Tonight At The Arizona

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nail75

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TheMagneticFieldDas würde ich sogar auf die gesamte erste Seite (also Lieder 1-5) ausweiten wollen. Am Stück in dieser Klasse und Intensität dieses Jahr (und länger) noch nicht gehört.
Der (böse) ME schreibt übrigens: “ … Nach einer ergreifenderen Aufnahme wird man in diesem Jahr lange suchen müssen.“ Recht haben sie.

Der Sänger genießt diese traurigen Geschichten über Underdogs sichtlich. Ich habe keine Ahnung, ob er sie sich ausgedacht hat oder ob sie auf wirklichen Erlebnissen beruhen (vermutlich nicht), aber er singt sie mit einer genüsslichen Hingabe, die manchmal haarscharf an der Parodie vorbeischlittert.

Achtet mal auf diese Zeilen (aus dem Gedächtnis zitiert) in „Ballad“:

Joey was a noone
Just some big dumb kid from Flushing
He had a face like an ugly boy
Always pouting
He hit Louie kind of low
And he fumbled on the ropes
As the bookies blocked the rows
Shouting

Wie er „pouting“ und „shouting“ in die Länge zieht und stundenlang darauf herumreitet, das ist schon großes Kino. Und er erreicht etwas: Man fühlt Verbundenheit mit Lou, dem Weltergewicht und bedauert, dass ausgerechnet der Idiot aus Flushing ihn besiegt. Mich interessiert dann gar nicht mehr, ob das echte Emotionen sind. Ich heule bei Filmen ja auch und weiß, dass es nur Schauspieler sind.

Es gibt ein Buch von Tim O’Brian namens „The Things They Carried“, das sich mit dem Vietnamkrieg beschäftigt. Darin erzählt er eine Geschichte, die er dann später als erfunden kennzeichnet. Obwohl erfunden vermittelt sie dennoch den richtigen Eindruck vom Krieg. Nur weil eine Geschichte erfunden ist, muss sie ja nicht unwahr sein! Im Gegenteil, gut erfundene Geschichte transportieren eine emotionale Wahrheit, die uns manchmal besser erreicht als wahre Geschichten.

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.