Re: The Felice Brothers

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otis
Moderator

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Ich habe die LP heute erst bekommen. Und, zugegebenermaßen, erst einmal gehört. Aber das meiste, was oben geschrieben wurde, darf man getrost vergessen.
Ich hatte bislang nur Roll On Arte von My Space gehört, aber schon dort hatte es mich gepackt, hier aber wird es als Intro zum Ereignis. Man kann das Ganze unbedingt am Sound festmachen. Vergleiche gestatten sich, da der LP die CD beiliegt.
Den Myspace-Track habe ich nur in Erinnerung, nicht wieder gehört. Er ist das schlechteste von allem. Die Stimme stark in den Vordergrund gemischt, deutlich dylanesk. Auch auf der CD findet sich ein deutlich anderes Klangbild als auf der LP mit sehr offenem und zwar vordergründig präsentem, aber ziemlich flachem Klangbild und wieder den Vocals stark im Vordergrund.
Erst auf der LP kommt der überaus eigene, wunderbare Flow zum Tragen. Eine Dylan-Parallele drängt sich z.B. (im Gegensatz zu den digitalen Version) keinesfalls zwingend auf. (Ich höre allerdings auch nicht The Band.)
Nun zur Musik. Sie hat mich auf der Stelle gefangen genommen. Keine Spur von „falschem“ Gesang. Einfach nur wunderbare Songs, die eine Direktheit ausstrahlen, die faszinierend ist. Sanft und warm. Wer den emotionalen Sog von Folk empfinden kann, die Tiefe, die in der Einfachheit liegt, der wird diese LP über alles lieben können. Welche Größe liegt nicht zum Beispiel in Lady Day. Hier, wie überall auf dieser Platte, stimmt alles.
Mein Statement oben, dass es möglicherweise eine naive Angehensweise an die Musik sei, hat sich etwas verflüchtigt. Nein, die Burschen wissen schon, was sie tun. Sehr genau. Sie wissen aber auch sehr genau, was Folk ausmacht und Country, und setzen dieses Wissen unglaublich zieldienlich, dennoch faszinierend lebendig um.
Da tobt sich während der Aufnahme eines Songs gerade ein Gewitter aus, ein Blitz sorgt für eine massive Stromspannungsschwankung, the band plays on, das Gewitter verzieht sich, die Musik bleibt. Von dieser Art ist das Ganze, nichts selbstgestrickt Naives, sondern Musik in einer zwingenden Direktheit und einer in sich reinen Form. Nirgendwo falsch (weder gesungen, noch gespielt), und wenn es doch an einer Stelle den Eindruck macht, als habe die Geige den Ton nicht getroffen, so scheint das ein Augenzwinkern mit treffsicherem Schluss.
Two Gallants sind auch kein Vergleich, da diese deutlich elaborierter an die Sache herangehen und gegen diese Platte insgesamt eher langweilig wirken, auch wenn das vordergündig ein Widerspruch sein mag.

PS: Leider ist ein Nachsatz nötig, da ich bei einigen im Verdacht stehe, mich Doebeling’schen Urteilen allzu leicht anzuschließen. Die mich kennen, wissen, dass es so nicht ist.
Den anderen sei gesagt, dass ich unglaublich gespannt auf die Platte war, diese mich aber auf der Stelle derart überzeugt hat, dass ich sie ähnlich hoch ansiedele wie WD. Was ich sicher auch ohne sein Zutun getan hätte, allerdings wäre sie ohne gar nicht auf meinem Plattenteller gelandet. Also Thx an WD.
Einen Zugang zu reduziert lebendigem Folk (mehr ist es Folk als Country) sollte man allerdings schon haben und einen Plattenspieler natürlich, sonst mag die Beschäftigung mit dieser kleinen Kostbarkeit wirklich ein sinnloses Unterfangen sein.

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