Re: Sonic Youth 2007

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Kritik des Berliner Konzerts in der FAZ:


„Sonic Youth“ – Gitarren im Strom

Von Tobias Rüther

29. Juni 2007
Sie zeigen einem gleich die Instrumente, Gefangene werden heute Abend keine gemacht. Thurston Moore, Lee Ranaldo und Kim Gordon von der New Yorker Band „Sonic Youth“ stehen auf der Bühne der Berliner Columbiahalle und drücken die Hälse ihrer Gitarren in die Verstärker hinein: Es ist ein ruhiger Augenblick, ganz am Anfang dieses Konzerts, auch wenn die Rückkopplung noch so dröhnt und sich höher und höher auftürmt – weil die drei ihre Instrumente in einem ganz bestimmten Winkel an die Verstärker halten, so hochkonzentriert, als sei das eine Geheimwissenschaft, als würde jede falsche Bewegung den Ton zerstören, dieses sich selbst verstärkende und verzehrende Signal.

Und es ist eine wirklich Geheimwissenschaft, das Feedback zu zähmen und loszulassen: „Sonic Youth“ sind dafür weltberühmt geworden, sie so zu beherrschen wie sonst im Rock vielleicht nur noch Neil Young. Jetzt sind sie auf Tournee gegangen und nach Berlin gekommen, um bei wenigen, ausgewählten Auftritten das eine entscheidende Album aus ihrer sechundzwanzigjährigen Karriere von Anfang bis Ende durchzuspielen, auf dem sie sich die Rückkopplung endgültig zum Freund gemacht haben: „Daydream Nation“, erschienen im Oktober 1988.

Die Band, auf die sich alle einigen konnten

Ohne diesen Durchbruch hätte es drei Jahre später den Grunge wohl nicht gegeben, wäre „Nirvana“ kaum so erfolgreich geworden, die Rockmusik niemals so umgekrempelt worden, von unten nach oben, vom Underground bis in die Charts hinein: Keine wichtige Band von heute, weder „Tocotronic“ noch die „White Stripes“ oder „R.E.M.“, die sich nicht irgendwann auf „Sonic Youth“ berufen hätte. Auf allen Bestenlisten der Rockmusik taucht „Daydream Nation“ deshalb auf, im Jahr 2005 ist es sogar in die Tonsammlung der amerikanischen „Library of Congress“ aufgenommen worden, zusammen mit der Ansage zum Boxkampf von Max Schmeling gegen Joe Louis im Juni 1938 und dem ersten transatlantischen Telefonat 1927. Zeitgleich zur aktuellen Tour erscheint eine Sonderausgabe; die Platte ist also endgültig der Geschichte und dem Mainstream einverleibt worden – was eine ironische Wendung für eine Band wie „Sonic Youth“ ist, die aus der regelfreien Kunstszene der Lower Eastside kommt und dort bis heute zu Hause ist, also nie die Wurzeln gekappt hat, die sie in der Gegenkultur halten.

„Sonic Youth“ waren aber immer auch die Band, auf die sich alle einigen konnten, hartgesottene Independent-Fans genauso wie Kunststudentinnen, Hip-Hopper und selbst Heavy-Metal-Hörer, und alle sind sie in die Berliner Columbiahalle gekommen. Jetzt haben zwar die meisten von ihnen die Hemden in der Hose, eine Brille und graue Haare, aber die haben eben auch Lee Ranaldo und Thurston Moore, der einmal, bei „Total Trash“, sogar kurz unterbrechen muss, weil er seine Kontaktlinsen verloren hat, und hinter die Bühne geht, um seine Brille zu holen.

Unterkühlt und Angst einflößend geistesgegenwärtig

Aber selbst mit dieser Architektenbrille sieht Thurston Moore, heute achtundvierzig Jahre alt, dann immer noch aus wie ein großer Junge. Ein riesengroßer Junge allerdings, der mit den Fäusten in seine Gitarre schlägt, sie bei „’Cross the Breeze“ mit einem Schlagzeugknüppel malträtiert, vor sich her trägt wie eine Monstranz und schließlich an der von Lee Ranaldo reibt, dass es nur so jault und kreischt und beide Hälse ein Kreuz bilden. „Sonic Youth“ wären aber nicht „Sonic Youth“, wenn diese Geste nicht ironisch gemeint wäre. Das hier ist alles andere als eine Rockreligion, dafür singt Kim Gordon sowieso zu oft vom Satan.

„Daydream Nation“ ist 1988 als Doppel-LP erschienen, samt kryptischen Symbolen für die vier Bandmitglieder und einem vierzehnminütigem Stück namens „Trilogy“ – als wären hier „Led Zeppelin“ oder „Genesis“ am Werk und nicht eine wütende No-Wave-Band mit absichtlich verstimmten Gitarren. Eine Band, der perfektes Spiel schon immer egal war und die pompöse Soloeinlagen als chauvinistische Selbstbefriedigung verachtet. Die damals Songs gegen Nancy Reagans Familienwerte schrieb, über Geschlechterpolitik und Andy Warhol und bleiche Romane von Denis Johnson. So heiß bei „Sonic Youth“ die Gitarren laufen – und je länger die Band sich an diesem Abend Lied um Lied warmspielt, desto heißer werden sie -, die vier wirken dabei bis heute unterkühlt und angsteinflößend geistesgegenwärtig.

Aggression schlägt in pures Glück um

Sie haben nämlich nicht nur Platten über Madonna und mit dem Rapper Chuck D. von „Public Enemy“ gemacht – sie haben zwischen 1988 und 1992 auf ihren Covern auch noch Kunstwerke erst von Gerhard Richter, dann von Raymond Pettibon und schließlich von Mike Kelley abgedruckt. Der Erste war damals schlagartig zu einem der teuersten lebenden deutschen Künstler geworden. Die beiden anderen – der eine Zeichner, der andere Konzeptkünstler – setzten gerade zu ihren Karrieren an. Das Cover von „Daydream Nation“ ziert eine von Gerhard Richters „Kerzen“, sicher kein Zufall, denn im Herbst 1988 hatte der Maler eine Edition des Motivs für den Kunstverein Goslar aufgelegt – und war über seine damalige Frau Isa Genzken mit Kim Gordon befreundet, der Kuratorin, „Artforum“-Autorin, Künstlerin und Bassistin von „Sonic Youth“.

Das sind einige dieser Geschichten, die „Sonic Youth“ zu einer Legende gemacht haben, zum Argument, wenn man mal wieder erklären muss, warum Popmusik auch gut für den Kopf ist. Dass die Band daran nicht erstickt ist, liegt an ihrer Impulsivität und daran, dass die vier am Ende doch am liebsten gewaltigen Krach machen. Wenn „Sonic Youth“ auftreten, brennt die Kerze von beiden Seiten. Aggression schlägt in pures Glück um, wenn die Band heute „Candle“ oder „Teenage Riot“ spielt, Lieder, die sie heute, wie der Schlagzeuger Steve Shelley erzählt, zum Teil im Probenkeller vor dem CD-Spieler neu lernen mussten.

Wenn es nur nicht so politisch unkorrekt wäre

„,Trilogy‘ haben wir das letzte Mal vor zwanzig Jahren in Berlin im SO 36 gespielt“, ruft Thurston Moore von der Bühne, „oder im Loft?“ – „Es war im Loft“, sagt Lee Ranaldo, viel mehr als das wurde eigentlich mit dem Publikum an diesem Abend nicht geredet, dann legen sie wieder los: legen eine atonale Schicht auf die nächste, angetrieben vom Schlagzeug, davongetrieben von einer Welle reinsten Lärms, auf der eine klare Melodie schwimmt, die einen mitreißt ins weiße Rauschen. Gitarren im Strom: Lee Ranaldo und Thurston Moore rutschen beim Hineindreschen ständig die Instrumente aus der Hand, nur Kim Gordon bleibt meist seelenruhig stehen, den Bass fast auf den bloßen Knieen, im weißen Kleid, das Mädchen mit den Streichhölzern. Thurston Moore um seine Frau Kim Gordon zu beneiden, damit waren bestimmt sehr viele Besucher an diesem Abend beschäftigt – wenn es nur nicht so politisch unkorrekt wäre.

Irgendwann sind die vierzehn Stücke von „Daydream Nation“ abgespielt, dann kommen die vier für einige Zugaben zurück, jetzt aber „aus dem 21. Jahrhundert“, ruft Lee Ranaldo – und während sie Lieder wie die neue Single „Incinerate“ spielen, wird einem klar, dass „Sonic Youth“ dort eigentlich auch schon 1988 waren, in der Zukunft, ihrer Zeit weit voraus.

Text: F.A.Z., 29.06.2007, Nr. 148 / Seite 33
Bildmaterial: F.A.Z. – Christian Thiel

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