Re: Das deutsche Fernsehen ist ein eiserner Feuertornado der Verzweiflung

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Auf der Spur von Peter Alexander am Wolfgangsee

Von Andre Mielke 17. Oktober 2008, 22:53 Uhr
Schlechtes Fernsehen? Mit dem neuen Genre der „Schlagerette“ liefert die ARD ein weiteres Beispiel. Im Stil von „Im weißen Rössl“ soll mit Volksmusikstars der Musikfilm neu erfunden werden. Doch Hauptdarsteller Sascha Hehn geißelte „Das Musikhotel am Wolfgangsee“ bereits im Vorfeld als „Hartz-IV-Programm“.

Foto: DPA
Die Sänger Patrick Lindner, Claudia Jung und der Entertainer Mike Krüger spielen in der „Schlagerette“ „Das Musikhotel am Wolfgangsee“ mit

Für gewöhnlich herrschen auf dem Feld der leichten Muse Friede, Freude und Eierkuchen. Nach außen hin. Das ist das Gesetz des Schweigens, die Schunkel-Omerta. Der Schauspieler Sascha Hehn hat sie vor kurzem gebrochen, wegen angeblicher Qualitätsmängel eines Unterhaltungsprodukts – ausgerechnet der Heile-Welt-Bürger Hehn, der kaum je im Verdacht stand, an überbordenden künstlerischen Ambitionen zu leiden.
Es ging um seinen neuen Film: „Das Musikhotel am Wolfgangsee“. Als der Darsteller das Werk besichtigt hatte, war er so entsetzt, dass er sich dem „Focus“ mitteilen musste: Angesichts einer billigen Machart sowie handwerklicher Mängel bei Regie und Ton sprach Hehn von einem „Hartz-IV-Programm“: „Ich mähe lieber für 15 Euro irgendwem den Rasen, bevor ich mich in meinem Beruf lächerlich mache.“
Hartz IV am Wolfgangsee läuft nun im Ersten, und Hehn darf sich damit trösten, dass er sich von allen Beteiligten noch am wenigsten lächerlich macht. Er war der einzige professionelle Schauspieler am Set. Das ist sogar deutlich zu erkennen. Die restlichen Rollen wurden mit Stars und Sternchen des volkstümlichen Schlagers besetzt. Dazu kamen die Juxkanonen Mike Krüger und Bodo Bach. Alle Beteiligten agieren exakt im Rahmen ihrer darstellerischen Möglichkeiten. Daraus ergibt sich ein weiterer Pluspunkt für Hehn: Er singt nicht.

Ein schier unfassbares Laienspiel

Vor der Postkartenkulisse des Salzkammerguts wird nämlich bei jeder Ungelegenheit geträllert und gejodelt. Der federführend produzierende Hessische Rundfunk glaubt fest daran, derart das Genre der „Schlagerette“ zu begründen. Es soll sogar Fortsetzungen geben. Das Besondere an diesem Format sei „das harmonische Ineinanderfließen von Musik und Spielszenen“. Die Drehbuchautoren, deren Namen hier in ihrem eigenen Interesse ungenannt bleiben sollen, seien von „ausdrucksstarken Musiktiteln“ ausgegangen und hätten „die Handlungsstränge gezielt an die Songs und ihre Texte angepasst“. Damit will man an die Peter-Alexander-Musikfilme der 60er-Jahre anknüpfen und in diesem Fall unvermeidlich auch an den Wolfgangsee-Klassiker „Im weißen Rössl“. Die „Musikhotel“-Insassen führen Ralph Benatzky und seine bekannteste Weise fortwährend im Munde.
Der Film von Stephan Pichl ist ein schier unfassbares Laienspiel, ein harmonisches Ineinanderfließen von konzertiertem Unvermögen. Erwachsene Menschen rezitieren vor der Kamera ihre Texte wie Fünfjährige vor dem Weihnachtsmann. Wer es positiv sehen will, hält manchem Darsteller zugute, dass er hier auch nicht peinlicher wirkt als im Musikantenstadl. Fast alle Künstler erscheinen in der „Handlung“ unter ihren richtigen Namen. Die Rollen, so der Sender, seien ihnen schließlich auf den Leib geschrieben worden. Das ist hoffentlich ein Gag. Ansonsten bedürfte der eine oder andere dringend vormundschaftlicher Fürsorge.

Karl Moik macht auch mit

Das gilt insbesondere für Patrick Lindner. Er spielt einen visionären Hotelerben, der aus seinem Etablissement eine Art Musikantenscheune machen will, aber von seinem geldgierigen Geschäftsführer (Hehn) ausgebremst wird. In einer Schlüsselszene steht der pathologisch lächelnde Jung-Unternehmer mit seinem zwanghaft fröhlichen Hotelpersonal gerade in der Küche herum, als – wo gibt’s denn so was? – plötzlich Restaurantbesucher auftauchen. Und der Patrick, dieser Prachtjunge, hat sofort eine tolle Idee: „Da gibt’s nur eins: Die Gäste brauchen was auf den Teller. Ich bin mir sicher, wir schaffen das.“ Es folgt das Lied: „Komm, lass uns einfach Freunde sein, dann wird es uns gelingen.“ Karl Moik macht auch mit. Und die Lotto-Fee. Und Johann Lafer. Beim Finale sogar Semino Rossi. In diesem Drehbuch steckt zwar kein bisschen Charme, aber genug Luft für alle.
Interessanter als das Elaborat ist das Geleitwort, eine der letzten Amtshandlungen des scheidenden, viel gescholtenen und doch ziemlich erfolgreichen ARD-Programmdirektors Günter Struve. Seine Gegner warfen ihm immer wieder vor, die Verflachung und Kommerzialisierung des Programms vorangetrieben zu haben. An Struve perlte das ab. Wenn er konterte, dann gern mit provokanter Ironie. Nun nutzt er die Gelegenheit, noch einmal mit den, wie er schreibt, „schrill aufheulenden Sirenen der Medienkritik“ abzurechnen: Struve lobt die vielleicht handwerklich misslungenste ARD-Sendung der letzten Jahre als „leichte, gut zubereitete Fernsehkost“, „luftig, süß und locker wie Salzburger Nockerln“.
Das glaubt er ja wohl selbst nicht. Die einzig vorstellbare schmerzfreie Rezeptionshaltung für „Das Musikhotel am Wolfgangsee“ ist, sich vorher stark zu betrinken und während des Films das Fernsehgerät im Stile der „Rocky Horror Picture Show“ mit Reiskörnern zu bewerfen. Oder mit Nockerln.

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