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Eine ziemlich treffende Konzertbesprechung in der FAZ:
Der Einsatz sitzt und stimmt, in jeder Hinsicht: „Heeeey yeeeaaahh!!!“, kräht der stämmige Mann im offenen Karo-Hemd, und aus dem feisten Mondgesicht, dessen Aggressivität erleuchtend wirkt, sprühen die Funken nur so heraus, als wäre hier ein Schneidbrenner im Einsatz; aber es ist die Stimme.
Es stimmt, Axl Rose ist dicker geworden. Der böse, unberechenbare Spargeltarzan von damals mit der gewagten Aufmachung ist in die Breite gegangen, und dass er immer noch einen Gipsfuß hat, nachdem er das erste Konzert Anfang Mai in Lissabon im Sitzen absolviert hat, macht ihn auch nicht gerade beweglicher. Aber an Sangeskraft hat er nichts verloren, vielleicht, wie das bei den Großen so ist, bei vergrößertem Umfang sogar noch zugelegt. Also was soll die Frage: „Are you ready? / We be a guitar band / We play across the land.“ Alle unter den 45.000 in die Leipziger Red-Bull-Arena gepferchten, angenehm friedlichen, kunstsinnigen Leuten sind bereit – und danach fertig.
Wer hätte gedacht, dass Axl Rose, der mit den Guns N’ Roses zwischen 1987 und 1993 die wohl maßgeblichste Weiterentwicklung des Heavy Metal besorgt hat – nämlich durch Unterrühren von Zutaten wie Punk-Durchschlagskraft und melodiöse Hinterhältigkeiten –, wer hätte gedacht, dass dieser Los-Angeles-sozialisierte Hedonist nun, nach zwei im wesentlichen mit Nichtstun vergeudeten Jahrzehnten und nachdem der Hauptsänger wegen Ohr-Problemen passen muss, anstandslos bei einer anderen weltberühmten, sehr alten und noch erfolgreicheren guitar band aushilft wie ein bestellter Handwerker mit unglaublich viel Berufserfahrung, der von sich sagen kann: „Was ich anfasse, läuft“?
Höchstens doch der Rock-Gott. Er kann es auch nur gewesen sein, der diese erstaunliche Personalie eingefädelt hat; nicht mehr Malcolm Young, der unfassbare AC/DC-Rhythmusgitarrist, der in einem australischen Pflegeheim vor sich hindämmert und sich an nichts mehr erinnern kann, noch nicht einmal an die Echos seiner eigenen, gottgleichen Riffs. Aber so ist es: AC/DC haben Axl Roses Angebot angenommen, beide Seiten können sich geehrt fühlen.
Nun ist aber von der Originalbesetzung australischen Band gar nicht mehr viel übrig, genaugenommen nur noch der winzige Sologitarrist Angus Young, der das Ruder an sich gerissen hat wie der kleine Michael Corleone im ersten „Paten“. Sonst: der heillos kriminell gewordene Schlagzeuger Phil Rudd aussortiert gegen den barbarisch klöppelnden Chris Slade; Malcolm ersetzt durch den ungefähr gleichaltrigen Young-Neffen Stevie, der, ein wahrhaftiges instrumentelles Wunder, genauso gut und druckvoll spielt; nur Cliff Williams puckert am Bass seit fast vierzig Jahren herum.
Zu preisen ist Axl Rose schon dafür, dass er sich, mit nicht nachlassender Energie, zwei Stunden gegen den infernalischen Krach behauptete; das hätte, mit dieser Intonations- und ja vor allem Höhensicherheit, wahrscheinlich kein anderer geschafft, Brian Johnson sowieso und selbst in seiner fittesten Phase nicht. Dabei zeichnete sich schnell ab, dass Rose unter den 23 Stücken die aus der Bon-Scott-Phase (also bis 1979) am meisten lagen. Lange klangen Live-Juwelen wie „High Voltage“, „Hell Ain’t a Bad Place to Be“, „Dirty Deeds Done Dirt Cheap“ und „Let There Be Rock“ nicht mehr so zwingend, so kristallklar schneidend. Erst jetzt konnte man merken, dass Brian Johnson diese Lieder eigentlich nie so richtig lagen. Denn die Hardrock-Kopfstimme, die Ignoranten als bloßes Geschrei abtun, ist ein schweres Handwerk, bei dem es nicht nur auf Artikulationssauberkeit ankommt, sondern auch auf Kondition – lässt die Energiezufuhr nach, wird schnell ein schrilles Gehechel draus. Aber wo bei Brian Johnson im Grunde nur Anstrengung war, dreht Axl Rose die Schraube einfach so lange weiter, bis aus der Mühe Schönheit wird – ein Moment, der an diesem gewaltigen Abend oft spürbar war.
Es fiel auf, dass man auf Verbrüderungsgesten strikt verzichtete. Nichts da von „Ehre“, „Freude“ oder „Dank“ in Axel Roses gleichwohl freundlichen, knappen Ansagen; und der wie immer karpfenhaft mit gerundetem Mund nach Luft schnappende Angus Young, der es mit der Gewährung von Raum und Scheinwerfer-Licht für die spektakuläre Aushilfe nicht übertrieb, käme sowieso nicht auf die Idee, einen Mitspieler zu umarmen. Vielleicht hat Malcolm das in einem lichten Moment vom Pflegeheim aus auch untersagt – und dass du dich bloß nicht zu sehr mit diesem Amerikaner einlässt!
Anders als Paul Rodgers, der bei Queen zwischendurch „All Right Now“ intonieren durfte, unterblieben auch musikalische Lizenzen – oder wissen die AC/DC-Leute, dass ihnen das Gunners-Repertoire technische Schwierigkeiten bereitet hätte? Hier sind jedenfalls immer noch Malocher am Werk, die mit so etwas nichts anfangen können und Wert auf straffe Ordnung legen. Die nach wie vor unfassbar druckvolle Rhythmus-Sektion legt selbstlos den schweren Teppich aus, auf dem sich die zwei mit der Vorsilbe „Lead-“ im Arbeitsvertrag dann austoben – meistens kurz, dafür aber unglaublich gekonnt Axl Rose, manchmal übertrieben lang Angus Young, der mit den üblichen Mätzchen wie Hörner-Zeigen, Am-Boden-Liegen oder einhändigen Soli seine gitarristische Begrenzung immer wieder effektvoll durchbrach. Man kennt das seit vierzig Jahren; aber dass der Einundsechzigjährige so treu daran festhält und kein Risiko eingeht, ist ehrenwert und klug.
Axl Roses ganze Klasse zeigte sich dann an dem Material, bei dem schon Bon Scott zum Äußersten gegangen war, „Highway to Hell“ und „If You Want Blood (You Got It)“, damals, 1979, von Robert „Mutt“ Lange auf Breitwandformat getrimmter Hardrock, durch den sich eine schneidende, boshaft zischelnde Stimme fräste, die dabei aber eine seltsame Wärme verströmte. Rose war auch dieser hochdelikaten Ausdrucksform gewachsen.
Ein Gastsänger also: Wo wüsste man besser als unter den AC/DC-Urviechern, unter denen der Teufelsmann Bon Scott im Jesus-Alter von 33 Jahren abberufen wurde, dass wir alle nur Gäste auf Erden sind? Man darf Brian Johnson, für den die Sache bitter genug sein dürfte, jetzt nicht hinterhertreten; sein eigenes Material hat er immer anständig dargeboten, besonders natürlich die Klassiker von seinem Einstand „Back In Black“ (1980), denen Rose jetzt nichts Nennenswertes hinzufügte, wie man besonders am einen Tick zu schnell gespielten „Hells Bells“ merkte. Aber vielleicht, so überlegte Michael Pilz neulich so witzig wie richtig in der „Welt“, „geht Brian Johnson nun als dienstältester Gastsänger bei AC/DC in die Rockgeschichte ein“.
Die (bange) Frage ist, was jetzt kommt. Nach allem, was man hört, wird Brian Johnson kaum zurückkommen; die Bahn wäre also … Andererseits ist Axl Rose ein Typ, den man nicht zum Nachbarn haben möchte, jedenfalls früher nicht. Doch vielleicht ist das nach dieser mehr als professionellen Darbietung anders.
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