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Ein kurzer Rückblick nun auf mein vergangenes Wochenende, welches ganz im Zeichen der improvisierten Musik stand:
Zur Vorgeschichte: Vor zwei Jahren entschied sich Burkhard Hennen nach 34 Jahren Moers-Festival, sein „Baby“ loszulassen und als künstlerischer Leiter des weltbekannten Festivals aufzuhören. Die Musik ist dort mit den Jahren aus dem Fokus verschwunden. Abertausende pilgerten (und pilgern weiterhin) zwar alljährlich nach Moers – allerdings nicht der Musik wegen, sondern nur um sich den Freuden all der verfügbaren Drogen auf dem für jedermann nutzbaren Zeltplatz hinzugeben. Zeit für einen Neuanfang also, der sich zwei Jahre nach dem Weggang aus Moers nun an diesem feuchtkalten Wochenende im August ereignen sollte. Offside Open heißt nun das neue Format des Burkhard Hennen – und ich denke er hat den Namen mit bedacht gewählt. Der Name ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass das Festival unter freiem Himmel stattfand (für improvisierte Musik übrigens keine Selbstverständlichkeit) oder ist nicht mit einem Augenzwinkern darauf gemünzt, dass Geldern – der Festivalort – nicht gerade zentral liegt, geschweige denn eine Autobahnabfahrt besitzt. Nein, Offside bedeutet abseits von betretenen Pfaden unterwegs zu sein und Musik zu spielen, die uns nicht alltäglich begegnet. Und Open – ja zum einen offen für genau diese Musik zu sein, zum anderen aber auch offen den Menschen gegenüber zu treten, ob Festivalbesucher, Musiker oder Organisator – es wirkte alles wie eine kleine Familie. Es lief zwar noch nicht alles so rund bei diesem ersten Offside Open, aber darüber kann man getrost hinwegsehen. Insgesamt war es ein aufgregendes Ereignis, auch wenn mir viele Künstler zu abstrakt und kopflastig unterwegs waren. Doch dieser Umstand regte mich wiederrum zum Nachdenken an, wie sich der Jazz verändert hat und ob das Negieren der afro-amerikanischen Kultur wirklich auf neue Wege führt, oder ob dieser Weg in der Sackgasse endet. Ich möchte diese Gedanken hier jetzt allerdings nicht weiter ausführen, evtl. mal mehr dazu in einem geeigneteren Thread. Kommen wir stattdessen zu den Künstlern, die mir wirklich gut gefallen haben:
David Murray
Er spielte gleich zweimal auf dem Festival. Gleich am Freitag mit seinem World Saxophone Quartet als abendliches Highlight und am Sonntag mit seinem Black Saint Quartet. Dass David Murray in den 70ern als Nachfolger von John Coltrane gehandelt wurde, mag vielleicht aus heutiger Sicht sehr gewagt klingen, entzieht man sich aber der Kenntnis des damaligen Umdenkens von der Avantgarde zurück zum Traditionalismus, lässt sich ungefähr erahnen, welche Möglichkeiten der New Yorker Saxophonist gehabt hätte. Mit dem World Saxophone Quartet (zusammen mit Toni Kofie, Oliver Lake und Hamiet Bluiett) ließ er sein Können in voller Pracht aufblitzen und seine Wurzeln zum Gospel durchblicken. Mein Lieblingsbassist Jamaaladeen Tacuma (O-Ton Murray „The best bass-player in the world“) setzte dem Ganzen noch ein Sahnehäubchen oben drauf und so wurde diese Performance bereits am Freitag zum absoluten Highlight des gesamten Festivalprogramms.
Am Sonntag kam Murray dann noch einmal auf die Bühne, um in einem zwei Stunden-Set in Jazz verpackte politische Statements zur Lage der amerikanischen Nation dem Publikum näher zu bringen. Es war ein eher ruhiges und nachdenkliches Set, einem kritischen Amerikaner dürfte auch derzeit wohl kaum zum Feiern zumute sein.
Kékélé
Eine karibische Rumba aus Afrika, welch ein Erlebnis! Dass der Kongo musikalisch derart unterwegs ist – ich hatte keine Ahnung. Dies war eines der Aha-Erlebnisse, weshalb ich überhaupt hierher gekommen bin.
Furiopolis
Deutsche Volkslieder in den Jazz vertonen, dass klingt zunächst nach einem Schabernack, den sich höchstens Helge Schneider ausdenken könnte. Aber auch wenn die Performance eher flapsig präsentiert wurde, so entwickelte sich mit der Zeit ein tolles und auch durchaus ernst gemeintes Programm von interessant interpretiertem deutschem Liedgut (Highlight: „Fuchs, Du hast die Gans gestohlen“ aka „Fuchs, Du hast den Groove gestohlen“).
Big Zoom
Lucas Niggli, ein Schweizer Schlagzeuger und Komponist hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Begriff der Kammermusik neu zu ergründen und mit den Stilmitteln des Jazz zu begreifen. Hier wurde demnach vom Feinsten improvisiert, immer mit dem Hintergedanken an die klassich anmutende Kammermusik. Besonderes Highlight für mich: Nils Wogram an der Posaune, mal nicht in Till Brönner’schen Schuhen unterwegs, sondern auf eigenen improvisierten Wegen begeisterte er mich wirklich sehr.
Akikazu Nakamura
Blockflöte deluxe könnte man böshaft sagen. Doch die Shakuhachi, eine wohl sehr schwer zu erlernende japanische Holzflöte, ist weit mehr als das. Mich als Fan der fernöstlichen Musik hat Akikazu Nakamura sofort erobert mit seiner vielschichtigen und tiefgreifenden Musik. Genau hier trifft sich Intellekt und Emotion auf Augenhöhe, man folgt gedanklich im Kopf entstandenen Bildern und gleichzeitig öffnet sich das Herz. Eine wirklich ganz ganz große Musik!
Shibusa Shirazu Orchestra
Es war ja kalkuliert. Genau deswegen bin ich eigentlich nach Geldern gefahren, um zum wiederholten Male das wohl großartigste Spektakel aus Japan erneut zu sehen – und diesmal mit einem neuen Programm. Und ich wurde nicht enttäuscht. Die 40 (!) Protagonisten des Orchesters fuhren mal wieder alles auf was geht. So wurde der Schlussact zum erwarteten Großereignis, zu dem ich eigentlich nicht viele Worte verliere möchte, sondern stattdessen ein von mir festgehaltenes kleines, amateurhaftes Video für mich sprechen lasse. Ich möchte nur dazu sagen, dass man dieses Orchester einfach mal live gesehen haben muss!
Fazit
Die drei Tage haben sich wirklich gelohnt. Ich bin jetzt nicht im Einzelnen auf die Künstler eingegangen, die mir nicht gefallen haben – denn auch dazu hätte ich auch eine Menge zu schreiben. Dieses vielleicht später an anderer Stelle.
Burkhard Hennen konnte sich so richtig austoben. Mit 34 Jahren Festivalerfahrung auf dem Buckel weiß er, was ein solches Ereignis ausmacht und künsterlisch / dramaturgisch hat er auch alles richtig gemacht. Die Rahmenbedingungen waren für ein Festival traumhaft (gehaltvolles Essen zum fairen Preis, keine Dixie-Klos sondern edle Toilettenwagen, freier Eintritt in zwei Schwimmbäder zum Duschen) und die Nacht auf dem Zeltplatz war angenehm friedlich. Und genau hier liegt mein größter Kritikpunkt: Es wäre schön, wenn es dem Offisde Open gelingen würde, mehr junge Leute begeistern könnte, die ein wenig mehr Leben in die Sache bringen können. Klar, Moers und sein hemungsloser Partytrieb soll nicht das Vorbild sein, aber ein wenig mehr Leben auf dem Zeltplatz nach dem Programmende wäre schon wünschenswert. Na ja, schauen wir in die Zukunft und erleben einfach, wie dich das Offside Open so entwickelt…
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You can't fool the flat man!