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Ich habe kürzlich zu den beiden „Grindhouse“-Filmen folgenden Artikel geschrieben, den ich Euch nicht vorenthalten will:
„Death Proof“ vs. „Planet Terror“
„Grindhouse“ bezeichnete vor allem in den 1960er und 1970er Jahren in der Umgangssprache der amerikanischen Filmbranche ein Kino, das bevorzugt sogenannte Exploitation-Filme zeigte, also Genre-Filme (z.B. Horror, Martial Arts, Italo-Western) mit einem hohen Anteil an Sex und Gewalt. In den Kinos wurden diese Filme häufig zu Double Features kombiniert. Das gleichnamige Filmprojekt der befreundeten Regisseure Quentin Tarantino und Robert Rodriguez entstand durch die gemeinsame Vorliebe für diese Art Kino.
Das ursprüngliche Konzept sah zwei Filme von relativ kompakter Länge vor, die von Fake-Trailern für nicht existierende Filme sowie erfundenen Werbespots begleitet wurden. Obwohl die Filme im Endergebnis länger als geplant wurden, erfolgte der Start als Double Feature in den USA am 6. April 2007. Aufgrund des eher bescheidenen Einspielergebnisses wurde anschließend allerdings beschlossen, die Filme im Ausland getrennt in die Kinos zu bringen, wobei Tarantinos „Death Proof“ in einer längeren Fassung zur Vorführung kam. In Deutschland erfolgte der Kinostart von „Death Proof“ am 19. Juli, der Start von „Planet Terror“ ist für den 2. Oktober vorgesehen (aller Voraussicht nach ebenfalls mit zusätzlichem Material).
Die Herangehensweise der beiden Regisseure an das Projekt ist höchst unterschiedlich, was auch – aber nicht nur – mit ihrem unterschiedlichen individuellen Stil zu tun hat.
Zunächst „Planet Terror“, im originalen Double Feature der an erster Stelle stehende Film. Dessen Plot könnte durchaus einem Horrorfilm der 70er Jahre entstammen: Eine texanische Kleinstadt wird von sogenannten „Sickos“ heimgesucht, zombie-artigen Gestalten, die die lokale Bevölkerung dezimieren. Der Widerstand wird angeführt von der Go-Go-Tänzerin Cherry Darling (Rose McGowan) und ihrem Ex-Lover El Wray (Freddy Rodriguez), einem Latino mit mysteriöser Vergangenheit. Ein Krankenhaus und ein Barbecue-Restaurant, beide mit merkwürdigem Personal, sind wichtige Schauplätze. Ferner spielen eine Armeeeinheit und ein zwielichtiger Wissenschaftler zentrale Rollen.
Abgesehen von der Thematik verbreitet Rodriguez‘ Film allerdings ziemlich wenig 70er-Jahre-Flair und unterscheidet sich auch nur geringfügig von anderen Filmen des Regisseurs. Vor allem sein Vampir-Stripper-Film „From Dusk Till Dawn“ kommt in den Sinn. Ohne diesen gesehen zu haben, wage ich zu behaupten: Die Unterschiede zu „Planet Terror“ dürften sich in Grenzen halten. Wahrscheinlich fährt der Letztgenannte ein paar Ekel-Splatter-Gags mehr auf. Tatsächlich sind es so viele, dass sich nach einer Weile ein gewisser Ermüdungseffekt einstellt – wie auch der Film insgesamt in der von mir gesehenen Fassung etwas zu lang geraten ist.
Was hingegen Tarantinos Umgang mit seinen 70er-Jahre-Vorbildern betrifft, kommt für „Death Proof“ vor allem ein Attribut in den Sinn: streng. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Film macht einen Riesenspaß und ist absolut mitreißend. Die Strenge bezieht sich ausschließlich auf die naturgetreue Spiegelung der verehrten Werke. Nun ist Tarantinos Zitierwut ja berühmt (kaum eine 08/15-Fernsehzeitungs-Besprechung kommt ohne die bereits zum Stereotyp geronnene Bezeichnung „Zitate-Meister“ aus). Während die Zitate jedoch bis einschließlich „Jackie Brown“ meist eher beiläufig in Form von bestimmten Kameraeinstellungen oder Dialogzitaten erfolgten, ist seit „Kill Bill“ eine andere, wesentlich konsequentere Herangehensweise zu beobachten. Die Zitate in der erwähnten Form werden beibehalten, zusätzlich werden jedoch Figuren und Locations bis hin zu vollständigen Szenen mehr oder weniger komplett übernommen und der originalgetreuen Optik (Farben, Beleuchtung etc.) erhöhte Bedeutung beigemessen. Der wesentliche Unterschied zwischen „Kill Bill“ und „Death Proof“ besteht allerdings darin, dass die Vorbilder für „Kill Bill“ recht verschiedenen Genres und Subgenres entstammen und der Film daher teilweise etwas heterogen wirkt. „Death Proof“ dagegen bezieht sich fast ausschließlich auf das eng umgrenzte Genre der 70er-Roadmovies und Vollgas-Rebellen-Filme (wobei Klamauk à la „Ein ausgekochtes Schlitzohr“ dankenswerterweise außen vor bleibt). All dies führt dazu, dass, obwohl Tarantinos eigene Handschrift deutlich sichtbar bleibt, sich vor allem in der zweiten Filmhälfte ein authentisches 70er-Jahre-Feeling einstellt. Dies ist unter anderem auch daran abzulesen, dass die Anzahl der künstlich eingefügten Filmschäden deutlich geringer ist als bei Rodriguez. Es braucht hier einfach keine zusätzlichen Mittel, um dem Zuschauer klar zu machen, dass es sich hier um eine Hommage handelt.
Ein weiterer erkennbarer Unterschied: Während Rodriguez sich offensichtlich den ganzen 70er-Jahre-Schund aus reinem Spaß an der Freude anschaut (sozusagen „le trash pour le trash“) und sich auch selbst in seinen Filmen für kaum eine Geschmacklosigkeit zu schade ist, betätigt sich Tarantino quasi als cinephiles Trüffelschwein und sucht nach dem Edlen, sprich: der Kunst, im Film-Schmodder.
Jetzt aber endlich zum Inhalt: Jungle Julia (Sydney Tamiia Poitier), ein weiblicher Radio-DJ, feiert mit ihren beiden Freundinnen Arlene (Vanessa Ferlito) und Shanna (Jordan Ladd) ihren Geburtstag. Auf dem Weg zu einer Bar in Austin werden die drei unbemerkt von einem Mann in einem aufgemotzten schwarzen Chevrolet verfolgt. Dabei handelt es sich um Stuntman Mike (Kurt Russell), der anschließend in der Bar charmant mit Arlene flirtet, sich später aber als Psychopath erweist, der mit seinem speziell verstärkten Auto Jagd auf junge Frauen macht. Während der sehr ausgiebigen (aber niemals langweiligen) Exposition, die fast die komplette erste Hälfte des Films einnimmt, lernt man jede der drei Freundinnen ziemlich gut kennen und hat das Trio irgendwann innerlich nach Identifikationsgrad sortiert. Selbst wenn man weiß oder ahnt, was kommt, entfaltet deshalb die Unfallszene in der Filmmitte eine recht heftige Schockwirkung.
In der zweiten Filmhälfte wird der Spieß dann umgedreht. Nun ist es Stuntman Mike, der nach einer missglückten Attacke gnadenlos von drei Frauen durch die ausgebleichte kalifornische Landschaft gehetzt wird, die hier als Stand-In für Tennessee dient. In einer wunderbaren Sequenz bahnen sich dabei zwei bereits reichlich demolierte Muscle Cars ihren Weg über einen stark befahrenen Highway und rempeln dabei hässliche moderne Geländewagen gleich im halben Dutzend zur Seite. Zielgenauer kann man seine Verachtung für das sowohl technisch als auch filmisch weitgehend sterile 21. Jahrhundert kaum ausdrücken. Da behaupte noch einer, bei Tarantino gäbe es keine Aussagen!
Abgesehen von den Dialogen ist diese Sequenz so ziemlich der einzige Hinweis, dass wir uns im Jahr 2007 und nicht 1971 befinden. Nein, stopp – da ist natürlich noch etwas. Etwas, das in den 70er-Jahren im Exploitation-Kino höchstens sehr vereinzelt vorkam, bei Tarantino aber seit „Jackie Brown“ Standard ist: Die Frau in der Rolle der toughen Kämpferin, die zurückschlägt – hier allerdings erstmals begleitet von eindeutig sexuellen Konnotationen, die sich auch im teils nicht jugendfreien Dialog niederschlagen. Psychologen dürften an diesem Film ihre wahre Freude haben.
Das Ende schließlich ist von solcher Abruptheit, Durchschlagskraft und gleichzeitig absoluter Stilsicherheit, dass es bei der von mir besuchten Kinovorstellung spontanen Applaus gab, obwohl es sich um eine normale Vorstellung und nicht etwa eine Premiere handelte.
All dies ist unterlegt von dem schönsten Tarantino-Soundtrack seit „Pulp Fiction“. Vor allem der während des Abspanns laufende Song „Chick Habit“ von April March setzt sich dermaßen im Gehörgang fest, dass er von dort wohl nur mittels eines chirurgischen Eingriffs wieder entfernt werden kann.
Fazit: Während für Tarantinos „Death Proof“ eine uneingeschränkte Empfehlung samt Ausrufezeichen gilt, beschränkt sich diese im Fall von „Planet Terror“ auf Fans des Genres.
MM
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"Don't reach out for me," she said "Can't you see I'm drownin' too?"