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Habe mal meine 40 Zeilen für die Zeitung überarbeitet. Vielleicht demnächst noch mal präziser, aber für den Moment muss das reichen:
Mittlerweile sind sie nicht mehr neu in der Hamburger Schule: Der Opener „Mein Ruin“ schlägt noch die Brücke zum Vorgänger-Album „Pure Vernunft darf niemals siegen“. Mantrahaft und der Songzeile gemäß „Wiederholung als Prinzip“ rocken sich Tocotronic eher hier düster und wie gehabt. Doch schon der titelgebende Track überrascht mit einer nie dagewesenen Zärtlichkeit in Lowtzows Stimme, die zuckersüß das apodiktische Aufgeben fordert. Blumfeldsch beschwingt gar ist der Chorus in „Aus meiner Festung“. Dennoch ist der Song eine einzige Dialektik, wird doch der Abgeschlossenheit die Schönheit des Draußens entgegen gesetzt. Wunderbar gewitzt dabei die Zeile „Spendet Applaus, ich bin ein Star, holt mich hier raus“. Verwirrend dagegen die Anspielung auf Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ im letzten Stück „Explosion“ (bei dem man vergeblich auf einen musikalisch dargebotenen Ausbruch wartet). Nicht immer aber kann man die kryptischen Lyrics Lowtzows aufdröseln. Macht aber nichts, denn auch so sind Zeilen wie „Verschwör dich gegen dich“ versponnene Brillianz. Ist es wirklich wichtig, was hier gesungen wird? Hauptsache es klingt ausgefuchst.
Mal schrammelt sich die Band an Wedding Present vorbei, mal an Pavement (ohne deren Brüchigkeit, dafür mit deutlich besserem und insbesondere verbessertem Gesang).
„Sag alles ab“ protzt plakativ wie die frühen Fehlfarben, aber dennoch: nicht nur Wiederholung wird zum Stilprinzip erhoben, sondern daneben auch Dialektik („Wir sind viele, jeder einzelne von uns“) und Harmonie. Tatsächlich ist das Album eine hermetische und harmonische Einheit. Songs voller Leichtigkeit und Liebe zum Detail: Die Mehrheit sollte sie hören.
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