Startseite › Foren › Das Konzert-Forum: Wann, wer und wie › Und so war es dann › Blumfeld – Abschiedstour › Re: Blumfeld – Abschiedstour
ich sag mal: bla bla bla
http://www2.vanityfair.de/extras/rainaldgoetz/?p=132
Verrückte Regel: jeder muss sich alles fragen lassen. Wie hast du deinen Tag verbracht? Wie dein Leben, wie die letzten Jahre? Was ist aus dir geworden, Jochen Distelmeyer?
Zu einem bekannten Zirkusmusikclassic – Manege frei, hier kommen die Artisten, die Show beginnt, wir wünschen gute Unterhaltung – kam die Band Blumfeld um kurz nach neun auf die Bühne des Clubs im Postbahnhof, stimmte sich auf die Tonhöhe der verklingenden Zirkusmusik ein und fing an zu spielen. Etwa zwei Stunden und knapp 30 gespielte Lieder später wusste das Publikum: es ist okay, dass die Band sich auflöst. Es machte ihnen einen Riesenspaß zu spielen, die Hits von früher klagen frisch und toll. Die Entwicklung, die die Band genommen hat, war falsch. Und Jochen Distelmeyer wird sein Leben lang als Musikant auftreten, er wirkte schon jetzt wie ein aktueller Udo Jürgens, der unglaublich elegant in seine Bühnenjahre kommen wird.
Aber welche Musik wird er spielen? In sich hat er keine mehr, er hat keine Haltung zur Welt und keine Worte, keine Melodien, keine Sehnsüchte und keinen Zorn. Ohne all das geht es aber nicht. Statt dessen ließ er sich vom Assistenten eine Gitarre nach der anderen reichen, wieviele waren es eigentlich, und das kam einem vor, inmitten des Immergleichen der anstregend interessanten Harmoniewechsel, wie ein Schrei nach echter Abwechslung, nach einem Moment von Direktheit und Sinn.
Die größte Schwierigkeit für den als Authentoide startenden Künstler ist seine Entwicklung. Herrlich beginnt das Leben, das Werk, und dann geht es langsam, während der Erfolg anfangs noch zunimmt, stetig bergab. Ist so, auch wenn es tausendundeinmal schon so war, in jeder neuen Künstlerlaufbahn ist dieses Schicksal von grandioser Grausamkeit und Entsetzlichkeit. Gebannt schaut das Publikum zu. Ja, er taumelt, ja, er stürzt. Nein, er kann sich nicht halten, es ist vorbei, er hat sich verloren, die Magie ist dahin. Dann tragen die Betroffenen ihre Gedanken dazu vor, hilflos theoretisieren sie am eigenen Lebensweg herum, haben beste Gründe für alles, die doch komplett uninteressant sind. Ein einziges gelungenes Lied wäre die Antwort, aber Eigensinn und Metierbeherrschung stehen dagegen, Souveränität, die das Leben dem Künstler zugetragen hat, zerstört in ihm die Basis seines Schaffens, Ungenügen und Negativität. Jetzt wäre es gut, ein nichtauthentoider reflektierter Künstler zu sein, ein Spieler oder Formexperimentator, der das Exzentrische zu verwerfen die Kraft hat, die individuelle Entwicklung aus seiner Kunst rauszuhalten, der tatsächlich künstlich immer neu ansetzt, als hätte er noch nie etwas gesagt.
Viele Intellektuelle und Undergroundleute, die ihr Leben so zukunftsoffen experimentell angelegt haben, wie der Künstler sein Werk, haben in Jochen Distelmeyer eine faszinierende Identifikationsfigur gefunden, der öffentlich sichtbar für alle die schmerzliche Geschichte des Wegs in die Reife vorgelebt hat, exemplarisch. Wahrscheinlich deswegen, nicht wegen der Intellektualität ihrer Ideen, hat die Band Blumfeld in ihrem Entwicklungsgang so viel intellektuelles Mitgefühl auf sich ziehen können. Die Frage der Zuhörer und Weggefährten aber bleibt auch nach dem Abschied offen: und wie ging es weiter?
--
Look out kid You're gonna get hit