Re: Gustav (Eva Jantschitsch)

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irrlicht
Nihil

Registriert seit: 08.07.2007

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PatrikTroll@Irrlicht: Bitte sei mir nicht sauer.

Im Gegenteil. :-)

Ich bin heute etwas in Eile, aber will doch versuchen, ein paar Dinge ins rechte Licht zu stellen.

Jantschitsch ist für mich eine Künstlerin, die ihre Worte mit großer Bedachtheit wählt – es gibt praktisch keine Platzhalter. Das ist bewusste Kunst, mag man böse oder allzu streng sein, ist die Darbietung der Österreicherin womöglich etwas hüftsteif und verkopft – das ist keinerzeit Musik, die sich vollkommen in sich selbst verliert, die Dame hält die Zügel stets straff, die Musik fließt nur bis zu den aufgebauten Dämmen, kein Tropfen weiter. „Normal“ kann ich diese Kunst allerdings nicht finden: Dafür ist sie zu passioniert, zu durchtrieben, garstig und auch gewitzt, zumal sehr vieles im Unterschwelligen leise die Krallen ausfährt – Jantschitsch hat, so meine ich zumindest, großen Spaß bei der Konstruktion ihrer Tracks, denn so gut die Songs für sich funktionieren (ich mag die Melodien sehr gerne), so sehr ist die Dame mehr eine Soundarchitektin, die genau weiß, an welchem Punkt der Geigenhals nach unten muss, wo ein Effekt clever eingesetzt werden kann und die Texte, die Texte prinzipiell: Ich habe Gustav schon vor längerem derart beschrieben, dass man, mag man keine Ironie erkennen, sich praktisch sicher sein kann, den einen oder anderen Schienbeintritt nicht abbekommen zu haben. Zum Glück? Keinesfalls, denn ohne das Gemisch aus Arsen und Asbest verpasst man ja vieles, fast alles.

Schon der „Abgesang“ ist von prominenter Bösartigkeit – keine Ironie? Halb wahr, eigentlich hört man hier die garstige Schwester, die Groteske. Go1 hat vor einiger Zeit den Verweis auf die resignierenden Linken beschrieben, aber eigentlich lässt sich das Szenario erweitern. Für mich ist „Abgesang“ zunächst das, was er auch im Titel trägt: Ein Abgesang. Auf die Rebellion, auf die Anteilnahme, auf die kollektive Mündigkeit. „Ich bekenne mich schuldig/Die Welt tut mir weh/Darum zieh ich Schlüsse/wenn ich Schlüssel seh“ heißt es schon in den ersten Zeilen. Das ist geschickt gemacht, Jantschitsch wählt die persönlichere Ich-Form, zieht die Thematik ins Greifbare – was hier anläuft ist der Protest im Inneren, der da wettert, der aber die Beine weit oben lässt, sich ans Sofa, an die Bar, ans Bier klammert – denn der Weg zum Aufschrei, dieses wenig an Aufwand, „tut so weh, o so weh“. Und der Schalk geht weiter: Am Tisch werden die Zettel ausgepackt, die Petition wird unterzeichnet, „ich bin für mehr Logik/für mehr Konzentration“, anders gesagt für mehr Einfachheit, für schlichte Antworten, die den Geist nicht allzu sehr in die Enge treiben, die weiter die Gespräche zulassen, in denen klare Wahrheiten verständlich werden. „Spinat ist gesund“, „Der letzte Papst war Christ“, „Die Politik ist böse“ – Wahrheiten (gedankliche Bescheidenheiten), so sorgsam gewahrt, dass man sie selbst beim Bier auftischen kann. Und die Jahre vergehn, eines nach dem anderen, doch im Geist hat sich nicht verändert; „wenn alles so bleibt wie es ist/bleibt alles so wie es ist“, wie ein anderer großer deutscher Texter jüngst schrieb. Natürlich ist „Abgesang“ nicht eindeutig – und wenn Jantschitsch mit der Schuld beginnt, dann ist das ein anderer Slogan, einer im Sinne von: „Ja, ich weiß, dass in Afrika die Kinder hungern, aber daran kann ein einzelner doch sowieso nichts ändern“ – es ist m.E. ein „Abgesang“ auf eben dieses Weltbild, tief wurzelnd in behäbiger Wegschaumentalität, schlichter Denkfaulheit zumeist. „Ich wähl den Weg des Geringsten[…]“ (haha).

Nett ist aber auch, dass daraus keine pastorale Lichterkette gestaltet wird – das ist clever und Jantschitsch mag verstanden haben, dass man mit glucksenden Beats mehr erreichen kann, als mit zornigen Bergpredigten. „Drum singet ihr Vögel/denn ich sing jetzt mit“ landet schlussendlich auf der Bergspitze, auf der alles vollkommen wahnhaft ist. Vögel fiepen auf, ein euphorisiender Beat beginnt im Sound eines alten Videospiels zu tönen – besser kann man das nicht machen. Ernst, aber nicht verbittert, witzig, aber nie flach – und dabei melodisch mehr als ansprechend.

Das nur mal zu „Abgesang“ – im Grunde ließe sich das beliebig weiter fassen. Die Frau, die in „Total equality woman“ (equality!) sich in die Rolle der willen- und gefühlslosen Maschine begibt („how kind of you to let me come?“, hihi), die Stadt Wien, die zum Abbild der Innenwelt wird, der Voyeurismus in „Neulich im Kanal“, die Kreuzung von schwarzem Humor und kindlicher Suche nach „Friede, Freude, Eierkuchen“ – und natürlich „Alles renkt sich wieder ein“, bei dem vor den Augen schon die winkenden Hände der Repräsentanten erscheinen: „Alles renkt sich wieder ein/irgendwann geht es vorbei/der Schmerz tut weh und es wird besser/Nur durch unsere Melodien/Lass den Kopf nicht hängen Sweetheart“ – und noch mehr, eine schöne Kehrtwende eintritt, das Wirken des Künstlers als solches zum Relativ wird.

Jantschitschs Werk ein Album der Fragen? Auch, zunächst aber eines der genauen Beobachtungen.

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Hold on Magnolia to that great highway moon