Re: Harte Realität

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mikko
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Bäuche des Satans
Watain, Legion of the Damned, Celtic Frost und Kreator im Columbiaclub

von Jens Balzer aus Berliner Zeitung, 31.03.2007

Den lesenswertesten Bauch der laufenden popmusikalischen Saison gab es am Donnerstagabend im Kreuzberger Columbiaclub zu bewundern. Er war nicht nur ganz gegen den gegenwärtigen Trend zum bauchmäßigen Sich-gehen-Lassen – zu hochkulturellen Päckleins, proletarischen Plauzen und über alle Klassenschranken sich hinwegwölbenden Wänsten – hammerhart flach trainiert und definiert, sondern zudem auf breit gebildete Weise mit diabolischen Zeichen aus allen Kulturen, Epochen und Erdteilen beschriftet. In Form von Tätowierungen, Brand- und sonstigen Narben hat sich Erik Danielsson, Sänger der schwedischen Black-Metal-Gruppe Watain, seinen Bauch mit Pentagrammen, gnostischen Hieroglyphen und sonstwelchen religiös-esoterischen Symbolen verziert. Vor Beginn der Watain-Konzerte pflegt er sich zudem ein kleines Loch in seinen Nabel zu stechen, aus dem es dann während des anschließenden Gekreischs und Gebollers munter blutig pulsiert.

Watain, 1998 in Uppsala gegründet, sind gegenwärtig die bekanntesten musikalischen Vertreter des Misanthropisch-Luziferischen Ordens; dieser betrachtet sich laut seinem Ordens-Statut als satanistische Ökumene: eine Verbindung verschiedener Formen der Teufelsanbetung, insbesondere des drakonischen Setanismus, des sumerischen Chaos-Gnostizismus und der kliffotischen Anti-Kabbalah; vorderstes Vereinsziel ist die Befreiung der „schwarzen Flamme“ in uns allen und die anschließende Erlösung der Welt von allen Regeln.

Dabei distanziert sich der misanthropische Luziferismus scharf von den von ihm so genannten „christlichen Mainstream-Satanisten“, die sich an Stelle der kosmischen Entgrenzung des Bösen auf die Verehrung des aus der Bibel bekannten gefallenen Engels beschränken. Bei dem Berliner Konzert von Watain schlug sich dieser Unterschied allerdings nicht so nieder; schon das in der Bühnenmitte platzierte, liebevoll geschmiedete umgedrehte Kreuz verwies auf eine eher klassisch antichristliche Symbolik. Das Schlagzeug war zünftig mit eisernen Ketten verhängt und die Bühne mit gepfählten Ziegenbockschädeln geschmückt; die Band kam im Black-Metal-typischen corpse paint auf die Bühne und entsandte zwischen ihren flott gegrunzten Hochgeschwindigkeitsstücken herzliche Grüße an „Azerate“ und „Satanas“.

Watain spielten den Auftakt eines insgesamt recht kurzweiligen Death-, Black- und Thrash-Metal-Generationentreffens; neben den ihnen nachfolgenden, trotz des gegenwärtigen Hypes in der Fachpresse musikalisch jedoch nicht weiter nennenswerten Legion of the Damned standen zwei Traditionsgruppen des Thrash Metal auf dem Programm: Celtic Frost und Kreator.

Celtic Frost aus der Schweiz waren dabei zum ersten Mal seit langer Zeit wieder auf einer Berliner Bühne zu sehen; von zirka 1984 bis 1990 eine der stilprägendsten Bands des Genres, haben sie sich kürzlich erst für das Album „Monotheist“ reformiert. Das fortgeschrittene Alter der Akteure schlug sich dabei im Konzert in einer strikten Verlangsamung des Gitarrenspiels nieder.Gerade auch die klassischen Celtic-Frost-Songs von den Alben „To Mega Therion“ und „Into the Pandemonium“ wurden bei zirka halber Geschwindigkeit dargeboten – was ebenso den Unmut der Traditionshörer erweckte wie der Umstand, dass Sänger und Gitarrist Thomas Gabriel „Warrior“ Fischer statt mit Metaller-Matte und corpse paint mit kurzen Haaren und schwarzer Wollmütze auf die Bühne kam; von der Black-Metal-typischen Leichenschminke waren lediglich zwei pechschwarz ausgemalte Augenhöhlen geblieben, wodurch „Warrior“ nun weniger wie ein Untoter aussah, sondern vielmehr wie ein Pandabär. „Wie sieht der denn aus! Geh nach Hause und zünd dir nen Ofen an, du Arsch“, kritisierte das Publikum diese Erscheinung, die bei vorurteilsfreier Betrachtung vor allem recht putzig wirkte.

Putzigkeit allerdings ist für Metaller noch nie ein Kriterium gewesen; auch der gemütliche Schweizer Akzent, in dem Bassist Martin Eric Ain zwischen den Stücken antikatholische Stegreifpredigten unter anderem im Gedenken an seine kürzliche verstorbene Mutter hielt („das Paradies, nach dem sie sich sehnte, werde ich nie betreten“), trug nicht wirklich zur Pathos-Steigerung bei. Was Celtic Frost fundamental von der letzten Gruppe des Abends unterschied: Kreator – aus dem religiös ja eher leidenschaftslosen Ruhrgebiet – haben sich in ihrer auch schon 20-jährigen Karriere noch niemals mit teuflischem Gepose aufgehalten, sondern bleiben beim musikalischen Niederprügeln der Hörer heute wie stets spirituell strikt neutral. So wirkten sie zugleich frischer und weniger albern, andererseits aber auch ein bisschen unkonturiert: Ohne Satan altert man besser; in Erinnerung bleibt man, das wurde an diesem Abend wieder bewiesen, eher mit ihm.

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