Re: Violine im Jazz

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Über Denis Charles*, mit dem Bang ebenfalls während vieler Jahre gespielt und aufgenommen hat, seinen Duo-Partner in Bangception – Willisau 1982 hat er im Gespräch mit Fred Jung folgendes gesagt:

FJ: You had a close association with the late Dennis Charles.

BB: Oh, God. I couldn’t hardly play without Dennis during some periods. This man knew. He could anticipate what I was about to do and he just fit so well. We were like two peas in a pod. First of all, Fred, he played melodic. He was a very supportive drummer. He didn’t try to outstage you or outdistance you. He was always trying to do his part to make the music better. He was just a wonderful drummer and an extraordinary human being. On the road, Dennis had super drug problems. We all had some, but Dennis was a lot heavier. Just to watch him go through Europe with me and he was sick and ill, but he did it for the love of the music. He had been around. He had been around the Art Blakeys and the Steve Lacys and the different cats. It was not new for him, but a lot of it was fairly new for me. He was a secret tutor on some levels and then he just followed me in a direction of the music that I believed.

*) Please note that Denis´ name has sometimes been spelled Dennis Charles, especially on older albums. Denis finally got a copy of his birth certificate and found his name was spelled Denis — from then on that´s what he´s used. (von seiner Website)

Mit Denis Charles spielte Bang im August 1982 am Jazzfestival Willisau ein grossartiges Set von knapp 42 Minuten Dauer. Das resultierende Album hiess zwar Bangception – Willisau 1982 und Charles war wird zweiter Stelle genannt, er ist aber mindestens so wichtig für diese Musik wie Bang.
Das erste Stück, „Air Traffic Control“, ist die die einzige gemeinsam komponierte Nummer, Bang eröffnet sie solo mit einem kleinen Feuerwerk an Arco-Klängen, wechselt dann zum Pizzicato, nutzt auch den Bogen zum Erzeugen perkussiver Klänge, und BAMM, dann ist Denis Charles da und übernimmt, nun seinerseits Solo. Das Tempo des Stückes ist frei aber langsam, Charles spielt ein tolles Solo, bevor vier Minuten im Stück wieder Bang übernimmt, seine mikrotonalen Linien werden immer dichter – gemäss Art Langes Liner Notes zur 1998er CD-Ausgabe hat Bang einst gesagt: „It was Leroy [Jenkins] who showed me there were a lot of notes on the violin between C and C-sharp“). Charles übernimmt wieder, und erst nach sieben Minuten spielen die beiden nun in einem schnellen Tempo gemeinsam – das gibt der Musik einen effektvollen Kick und das Stück bleibt längere Zeit enorm intensiv. Charles setzt dann kurz aus während Bangs Spiel noch dichter wird, Charles trommelt einzelne kurze Einwürfe, dann kickt er die Musik wieder, zieht sich wieder zurück und beschränkt sich auf Cymbals, während Bang eine kleine mäandrierende Linie repetiert… so geht das weiter, ein steter Wechsel der Stimmen, ein Auf und Ab von Intensität, Tempo und Lautstärke.
Als nächstes spielen die beiden eine grossartige Version von Ornette Colemans „Lonely Woman“. Charles eröffnet das Stück mit einem sehr einfühlsamen Intro. Wie Bang die Melodie intoniert, das ist wirklich einzigartig und berührend, ja herzzerreissend!
Mit Monks „Thelonious“, dem berühmten Thema, das fast nur auf einer einzigen Note gespielt wird, folgt der nächste Jazz-Standard. Charles präsentiert das Stück solo, äusserst einfühlsam überträgt er die Monk’sche Klangwelt auf sein Drumkit.
Dann folgt mit „Closer to the Flower“ das zweite Original, diesmal nur von Bang geschrieben. Er beginnt mit kurzen Motiven und Repetitionen, streut längere Linien ein, dann folgt Charles, wieder wechesln sie sich als Solisten ab, die Musik ist freier, zerklüfterer als im eröffnenden Duo, Bang erzeugt eine Flut von Klängen und steht hier fast alleine im Zentrum.
Zum Abschluss spielen die beiden ein Stück von Bilal Abdur Rahman, das den Titel „Know Your Enemy“ trägt. Charles legt satte Trommelrhythmen, über die Bang seine Linien spinnt. Mit den dichten Sounds und dem äusserst intensiven Spiel beider endet das Set auf einem energiegeladenen Höhepunkt.

Mit „Big M“, der zwanzigminütigen Hommage an seinen langjährigen Bassisten Malachi Favors, beginnt Kahil El’Zabars Ritual Trio ihre Aufnahme Live at the River East Art Center (Delmark, auch auf DVD erschienen). Billy Bang spielte einige Male als Gast des Trios, das zu diesem Zeitpunkt neben dem Leader aus Ari Brown (ts) und Yosef Ben Israel (b). Über ein dichtes Geflecht aus Trommelrhythmen und gezupfte Geige sowie den tiefen Bass von Israel bläst Ari Brown mit riesigem Ton das Thema.
Was wir hier während etwas über einer Stunde zu hören kriegen ist bestimmt kein grosses Album, aber es ist ein Dokument eines tollen Konzertes, das streckenweise fast mehr nach Party klingt und tief, tief in Chicago verwurzelt ist. Bang, der Zuzüger, spielt für einmal elektrische Violine, entlockt dem Instrument aber im grossen ganzen die selben Klänge wie üblich. El’Zabar slbst sorgt an Drums, Kalimba und diversen Perkussionsinstrumenten und Trommeln für eine Vielfalt an Klängen, der Groove wird nie vernachlässigt und Ari Browns Tenor klingt dabei oft wie durch ein Fenster aus der Vergangenheit herübergerettet, so massiv und schön ist sein Ton.
In „Return of the Lost Tribe“ steht der neue Bassist der Band, Yosef Ben Israel mit seinem tollen walkign bass-Spiel im Zentrum, er zieht und treibt die Band durch das Stück, während El’Zabar ein reguläres Drumkit spielt. Brown bläst ein tolles Solo voller Ideen, tief in der Tradition verwurzelt, dann folgt Bang, der sich rasch ans Erforschen der Klänge macht, die sein Instrument hergibt. Dann folgt El’Zabar mit einem Drum-Solo, bevor das Stück ruhig endet.
„Where Do You Want to Go?“ stammt als einziges der Stücke nicht vom Leader sondern von Ari Brown. Den Beat trommelt El’Zabar an seinen handdrums, Der Bass trägt das Stück erneut, während Brown die Melodie spielt und Bang mit hohen Sounds drein- und drumherumspielt. Wie schon das vorangegangene Stück dauert auch dieses etwa dreizehn Minuten und die Musiker lassen sich viel Zeit, ihre Ideen zu entwickeln. Hier wird nichts überstürtzt, Phrase für Phrase wird sorsam ausgespielt, variiert, verändert, man folgt Brown und Bang in ihren Soli Ton für Ton – und das ist eine grosse Freude!
„Be Exciting (Kahil Testifies)“ ist eine programmatische Ansage von El’Zabar, sie dauert vier Minuten.
Zum Abschluss folgt dann „Oof“, die vierte lange Nummer, erneut Malachi Favors gewidmet und von Kalimba und Perkussion eröffnet, bevor Israel wieder einen fetten Bass legt, über dem sich das Stück ganz langsam entfaltet. Brown spielt eine einfach Singsang-Melodie, Israel tritt in den Dialog, Bang schleicht sich ganz leise durch die Hintertür ein. Wunderbar!
Die Musik bereitet mir ungeheuren Spass und erinnert mich immer wieder dran, dass ich mehr aus dem Umfeld von Kahil El’Zabar (Edward Wilkerson, Ernest Dawkins) anhören müsste!

Mit dem 1952 geborenen Trompeter Roy Campbell hat Billy Bang schon in den 80er Jahren zusammengearbeitet. Campbell ist ein Musiker, der zurückhaltend ist in der Dokumentation seiner eigenen Projekte – er scheint jeweils nur dann aufzunehmen, wenn er auch wirklich etwas zu sagen hat. Zwischen dem 2001er Album „It’s Krunch Time“ (mit Khan Jamal, Wilber Morris und Guilhermo E. Brown) und dem nächsten und bisher letzten Album vergingen sechs Jahre: 2007 trat Bang mit Campbells Quintett am Vision Festival auf, um die Premiere seiner Akhenaten Suite aufzuführen, die noch im selben Jahr bei AUM Fidelity erschienen ist. Die Gruppe bestand aus: Roy Campbell (t,flh,recorder,argol), Billy Bang (v), Bryan Carrott (vib), Hilliard Greene (b) und Zen Matsuura (d).
Die Musik ist sehr atmosphärisch – dafür sorgt vor allem die Rhythmsgruppe um Bryan Carrott, aber auch die Melodien, die Campbell für sich und Bang geschrieben hat, die oft von einer einfachen, leicht melancholischen Prägnanz sind. Matsuura sort schon im ersten Teil der Suite für grosse rhythmische Abwechslung. Manches hier mag ein wenig an die Latin-lastigeren Projekte des Zorn-Umfeldes erinnern – Campbell stammt aus derselben Generation wie Zorn, hat aber mit Leuten wie Daniel Carter, Jemeel Moondoc, Mark Whitecage, William Parker und auch Peter Brötzmann, Alan Silva und Joe Maneri gespielt hat, sein Background ist also ein ziemlich anderer.
Die Kombination aus Geige, offener und gestopfter Trompete sowie den Vibes ist äusserst reizvoll, die ganze Suite fliesst wie aus einem Guss dahin, die fünf Musiker überzeugen einzeln und gemeinsam als Band.
Roy Campbell gehört für mich jedenfalls zu den jüngeren Trompetern, mit deren Musik ich mich noch deutlich mehr auseinandersetzen will, besonders seine Delmark CDs möchte ich noch kennenlernen. Ich hatte vor ein paar Jahren in Paris mal die Gelegenheit, mich recht ausführlich mit ihm zu unterhalten, als er mit Joëlle Léandre an zwei Abenden im fast leere Sept Lézards auftrat – Campbell ist ein Musiker mit immensem Traditionsbewusstsein, der mit der grossen Tradition arbeitet, etwas neues, eigenes daraus zu schaffen versucht. Er gehört damit wohl etwa in die selbe Ecke wie William Parker, mit dem Unterschied eben, dass Campbells Musik und konkret sein Spiel als Instrumentalist mich sehr direkt anspricht.
Wie vor allem beim zweiten Vietnam-Album habe ich allerdings hier auch hie und da etwas das Gefühl, dass Campbell (bzw. Bang) es sich hier ein klein wenig einfach macht – ein schönes Set, das wie gesagt sehr schön und mit einiger Abwechslung dahinfliesst und als ganzes wunderbar genossen werden kann, aber vielleicht hätten eben gerade ein paar Ecken und Kanten (wie Campbell sie im Duo mit Léandre zu hauf hatte!) dem ganzen gut getan.

Am Vision Festival 2002 haben Campbell und Bang auch gespielt, ersterer mit Jemeel Moondocs Muntu, Bang als Leader seines Trios mit Jin Hi Kim an der koreanischen Zither (Geomungo) und Hamiett Bluiett am Barisax. Ein Stück davon ist auf der CD/DVD-Veröffentlichung visionfest / visionlive auf ThirstyEar erschienen (die CD enthält Audio-, die DVD Ton-Aufzeichnungen derselben Stücke).
Bang beginnt das Stück solo, mit entfesseltem Arco-Spiel, den üblichen „dreckigen“ Klängen, Mikrotönen und so weiter. Dann steigt Bluiett mit einem Knall ein, übernimmt, treibt sein Barisax ins Falsett, spielt ein intensives Solo. Dann beginnt das Trio eine groovende Passage, in der Jin Hi Kim den Beat vorgibt und den Boden legt, während Bluiett ihn umspielt. Dann schleicht sich Bang ein, Bluiett beginnt ein weiteres Solo, mit Flatterzunge, Multiphonics… und die Musik wird immer noch von Jin Hi Kim getragen und getrieben.
Eine sehr reizvolle Kombination von Instrumenten, von der ich gerne mehr hören würde als diese achtminütige Segment!

Zum Abschluss noch ein paar Bang-Ratings aus dem Penguin Guide (3., 5. und 8. Ausgabe):

Sweet Space / Untitled Gift ***(*)
Rainbow Gladiator ****
Invitation ***
Banception, Willisau 1982 ***
The Fire from Within ***, später ***(*)
Live at Carlos I ***
Valve No. 10 ***(*), später ****
A Tribute to Stuff Smith ***(*), später ***
Spirits Gathering ***
Bang On! ****
Commandment (For the Sculpture of Alain Kirili ***(*)
Vietnam: The Aftermath ***(*)
Vietnam: Reflections ***

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