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Billy Bang im Interview mit Fred Jung (AAJ, 14. November 2003):
After I did my tour in Vietnam, I felt above a lot of the everyday activities in this world. I faced death and I think I had died more than once, so after that, I was sort of an untouchable. Me with my music, I didn’t feel the threatening situation that others felt. I didn’t feel obligated to have to compromise or the necessity to have to kiss anybody’s ass. I was determined to be focused in a Billy Bang direction until today, I am the same way. I think that strength is what kept me going, that commitment of strength, that conviction. They didn’t like the things that I did in the beginning. In fact, I didn’t like a lot of it, but I was committed enough to keep trying and not be shot down by critics, writers, peers, whomever.
Die Band auf dem vor ziemlich genau zehn Jahren eingespielten Album Vietnam: The Aftermath besteht aus alten Gefährten wie Frank Lowe (auf drei Stücken) und Butch Morris, beides auch Vietnam Veteranen. Ebenfalls um Veteranen handelt es sich beim Trompeter Ted Daniel, beim Drummer Michael Carvin sowie dem Perkussionisten Ron Brown, der auf drei Stücken zur Rhythmusgruppe stösst. Diese wird von John Hicks und Curtis Lundy vervollständigt. Auf zwei Stücken stösst zudem Sonny Fortune an der Flöte zur Band. Die Line-Ups wechseln von Geige mit Rhyhtmusgruppe (das wunderschöne „Moments for the KIAMIA“ bis zum Septett auf „TET Offensive“ und „Saigon Phunk“, dem Closer, auf denen Daniel, Lowe und Brown mitspielen. Auf Fortunes Stücken sind Daniel und Lowe nicht zu hören.
„Yo! Ho Chi Minh Is in the House“ beginnt mit etwas plakativ „asiatisch“ klingenden Linien von Bang, das vergisst man aber rasch, spätestens im tollen Trompetensolo von Ted Daniel. In „Moments for the KIAMIA“ (einem Memorial für die „killed in action / missing in action“) steht Bang ganz allein im MIttelpunkt, sein Spiel ist klagend, ein wenig traurig, sein Ton singt… Hicks und Lundy begleiten ihn einfühlsam und trotz Zurückhaltung aktiv, während Carvin an den Besen langsam den Groove etwas verstärkt während Bangs Solo, um dann für Hicks Solo wieder zurückhaltender zu agieren.
Auf „Tunnel Rat (Flashlight and a 45)“ – das war eben der Drecksjob, den Bang in Vietnam als Infanterist zu tun hatte – spielt wieder Ted Daniel mit, und wieder ist das Thema etwas plakativ geraten, die Musik ist aber toll, die Gruppe klingt – wohl vor allem dank Hicks und Lundy – sehr warm, Carvin hält die Beats spannend und begleitet sehr aktiv. Wie er die Begleitung für Daniels Solo völlig verändert, das ist alte Schule (und grosse Klasse), er fängt quasi mit Daniel neu an und baut langsam wieder Intensität auf.
In „TET Offensive“ stösst dann Frank Lowe zu Daniels und Charles, Ron Brown ergänzt die Rhytmusgruppe. Die Musik ist dicht gewebt und wird von Butch Morris geleitet (sein einziger Auftritt hier). Lundy spielt arco und legt ein mit Carvins schnellen feine Besen-Rhythmen einen flirrenden, sich dauernd bewegenden Boden, Bang, Lowe und Daniel werfen kurze Motive ein, dann schält sich eine Art kollektiv gespieltes Thema heraus, während Carvin und Browns Rhythmen langsam einem Donnergrollen gleichen. Gegen Ende löst sich der Lärm auf, die Musik lichtet sich, Bang tritt als solistische Stimme über die einfachen Töne von Hicks, Lundys Pedalbass und die Trommelrhythmen in den Vordergrund. „Bien Hoa Blues“ ist genau das, ein Blues, das Thema würd über eine Art Double-Stops von Lundy und Drumrolls von Carvin präsentiert, in einem schmutzigen Unisono, das wunderbar klingt – wer hat denn sonst schon eine Frontline aus Trompete, Geige und Tenorsax?! Die Rhythmusgruppe begleitet konventionell, Carvin spielt mit Sticcks aber sehr sparsam, Daniel übernimmt das erste kurze Solo, lyrisch und sparsam, Lowe das zweite, mit seinem wunderschönen Sound, der um die Kanten leicht ausfasert und mit einem ganz eigenen Vibrato und einem oft nur leicht verschleierten cry ausgestattet ist. Seine Linien sind stets leicht verschrobenen. Bang folgt als dritter, mit flüssigen Linien, schnellen Läufen, die von Carvins dichteren Fills ausgemalt werden. Auch Bangs Solo ist kurz, Hicks folgt, der Bass von Lundy legt ihm ein wunderbares Fundament und übernimmt dann das nächste Solo, gefolgt von ausgiebigen Fours mit Carvin.
„Mystery of the Mekong“ ist noch eine Nummer mit pentatonischem Intro, bevor Lundy mit einem Bass-Ostinato das eigentlich Thema aufsetzt. Carvin legt einen tollen Groove an den Besen, Sonny Fortune stösst an der Flöte dazu, der Beat löst sich komplett auf unter ihm, ein langsames Ostinato von Hicks wird von Carvin mit einzelnen Schlägen und Sounds von Ron Brown ausgeschmückt, Lundys gestrichener Bass schleicht sich langsam wieder ein. Sehr ruhig geht das Stück mit Bangs Violine zu Ende.
Auf „Fire in the Hole“ ist Fortune wieder zu hören, er spielt unisono mit Bang das Thema, von einem fetten Groove von Hicks, Lundy und Carvin begleitet.
„Saigon Phunk“ ist genau, was der Titel verspricht… oder eben doch nicht: Lundy nutzt seinen fetten, erdigen Sound dazu, eine Basslinie zu legen, die auch Bernard Odum zur Ehre gereicht hätte, darüber spielt Carvin einen trockenen Beat und Hicks legt Akkorde. Das Thema, das Bang, Daniel und Lowe dann im Unisono drüberlegen, klingt wie eine gelungene Mischung aus „Odwalla“ oder anderen Funk-Nummern des Art Ensembles und den zuvor schon mehrmals gehörten pentatonischen Grooves. Vor allem Carvins Drums mit seinen Fills halten den tollen Groove abwechslungsreich, bevor der Solo-Reigen mit Ted Daniel einsetzt.
Das CD-Cover enthält mehrere Fehler, so sind die Laufzeiten der Stücke falsch und Fortune wird für #7 und #8 angegeben, ist aber auf #6 und #7 zu hören. Ich vermute mal, dass sonst die Tracktitel und so in Ordnung sind, aber ohne dies wirklich zu wissen…
Über seinen langjährigen Wegbegleiter Frank Lowe (1943-2003), dem überdies das zweite Vietnam-Album gewidmet ist hat Bang im Interview mit Fred Jung folgendes gesagt:
I first worked with Frank on his record called Lowe and Behold. That was a real different kind of record for me to be involved with because he was bringing people from two different camps at the same time. There was one camp that was John Zorn and Eugene Chadbourne and others and the other camp was Joe Bowie, Phillip Wilson, Butch Morris, and myself. What Frank Lowe did was bring everybody together on the same LP. I thought it was really amazing that he could see that far in advance. This was before Bill Laswell. This was way before. So that is when we first began collaborating. He saw me really moving because Frank was my hero and he later saw me as an equal. We talked together and did projects together.
Im Mai 2004 erfolgten die Aufnahmen zum Nachfolge-Album Vietnam: Reflections, das in seiner Auseinandersetzung mit den Kriegserlebnissen wohl noch intensiver war – es ging Bang nun weniger um die Aufarbeitung des Erlebten, Erlittenen, ihn noch immer Umgebenden, sondern vielmehr ging es um Nachdenken und um die Aussöhnung, reflection und reconciliation. Zudem waren diesmal auf einigen Stücken auch vietnamesische MusikerInnen beteiligt: Sängerin (und Dirigentin) Co Boi Nguyen singt auf einigen Stücken, begleitet von Nhan Thanh Ngo (haupberuflich ein Computerwissenschaftler) am Perkussionsinstrument Namens Dan Tranh. Auch sonst ist die Band exquisit: Ted Daniel (t), John Hicks (p), Curtis Lundy (b) Michael Carvin (d), Ron Brown (perc) sowie Butch Morris (cond) sind erneut dabei, dazu stossen neu James Spaulding (as,fl) und auf dem ersten Stück Henry Threadgill (fl).
Das öffnente „Reflections“ beginnt mit jubilierendem Hicks über der soliden Rhythmusgruppe. Lundy spielt ein simples Ostinato, das der Musik Drive gibt, Threadgill in seinem einzigen Stück des Albums, Bang und Daniel steuern schöne Soli bei, dann folgt zum Ausklang der langen Reflexion nochmal Hicks.
„Ro Con“ ist ein traditionelles Volkslied, das Bang mit gezupfter Geige einleitet, dann singt Co Boi Nguyen das Stück begleitet von Bang und Nhan Thanh Ngo und minimalster Perkussion. „Lock & Load“ ist das nächste lange Stück, es swingt wunderbar, Lundy spielt erneut eine einfache, repetitive Basslinie, Hicks legt ein paar jazzige Akkorde, bevor Bang und die Bläser das Thema präsentieren. Daniel spielt ein wunderbares Solo, enorm lyrisch mit einem feinen aber satten Ton, gefolgt von Spauldings Altsax, das ncoh immer diesen leicht bitteren Ton hat wie auf den klassischen Blue Note Aufnahmen der 60er. Hicks rhythmisiert die Begleitung stark, lässt aber die Konturen stets etwas verwischt, weich, um die lyrische Atmonsphäre nicht zu stören. Bang folgt, sein Solo nutzt die Rhythmen der Belgleiter als Grundlage für intensive Explorationen, er fiedelt wie ein Besessener, sein Ton ist rauh, energiereich, fast aggressiv.
„Ly Ngua O“ ist das zweite vietnamesische Traditional, wieder von Co Boi Nguyen gesungen. Dieses Mal lebt das Stück aber vor allem von einem intensiven Trommel-Beat, um den die Geige und das (der/die?) Dan Tranh mäandrieren.
Mit „Doi Moi“ folgt dann einen grossartige Ballade, in der Bang von Anfang an das Thema spielt, von der Rhythmusgruppe und vor allem von Hicks Akkorden weich gebettet. Lundy ist für einmal auch als Solist zu hören und macht sehr viel aus seiner Gelegenheit. Am Ende im Thema wird wieder der spezielle Sound deutlich, den Geige, Flöte und Trompete im Unisono produzieren. Ein wunserschönes Stück!
Auf „Reconciliation 1“ schlägt dann Butch Morris‘ Stunde: das ganze Ensemble nimmt sich einer von Bangs einfachen Melodien an, zersetzt sie, setzt sie neu zusammen. Das Zusammenspiel von Nhan Thanh Go an seinem Instrument, einer Art gezupft gespielten Hackbrett, und Bangs Geige ist jedenfalls sehr toll.
„Waltz of the Water Pupperts“ ist ein getragener Walzer, Carvin spielt Besen, Hicks und Lundy spielen oft nur auf die Eins, Spaulding bläst ein sehr schönes Solo, dann folgt Hicks, der satte, tiefe Bass von Lundy fällt einmal mehr sehr positiv auf.
Mit „Trong Com“ folgt das letzte der kurzen vietnamesischen Traditionls, wieder wird Co Boi Nguyen von Nhan Thanh Ngo, Bang und Ron Browns Perkussion begleitet. Diese drei Miniaturen dienen für mich eher der Auflockerung, als dass es sich um ausgewachsene künstlerische Statements handeln würde, sie sind ihrer folkigen Direktheit aber doch sehr berührend.
Zum Abschluss folgt mit „Reconciliation 2“ nochmal ein Highlight – die Version des Stückes wohl, wie es klingt, wenn Butch Morris es nicht dekonstruiert. Bang, Daniel und Spaulding präsentieren gemeinsam das fernöstlich klingende Thema. Über einem weiteren Ostinato-Bass von Lundy, der das Stück schon so eröffnet, soliert Bang dann als erster, lässt sich viel Zeit, sein Solo zu entwickeln, währned Carvin ein wenig mit dem Beat herumzuspielen beginnt. Daniel folgt mit einem weiteren tollen Solo, er gefällt mir auf diesen beiden Alben enorm gut, er spielt zwar meist in der mittleren und hohen Lage und sein Ton ist recht markant, aber doch irgendwie satt und auch weich, voll, und seine Linien sind meist sehr lyrisch, nicht von der brüchigen, morbiden Art, die ich sonst oft so gerne mag bei Trompetern – eher irgendwo zwichen Booker Little und Clifford Brown höre ich ihn. Hicks und Carvin folgen mit ausgedehnten Soli, bevor das schöne Thema repetiert wird und das Album endet.
Das Album ist insgesamt von der Atmosphäre her viel einheitlicher, viel weicher, versönlicher, da wird keine musikalische Umsetzung der TET-Offensive probiert, da sind keine tunnel rats, die dafür zuständig sind, unterirdische Kanäle zu sichern… die Musik ist versönlich, atmosphärisch dicht und stimmig. Man erhält hier fast unweigerlich den Eindruck, Bang habe in der Tat nach dem Aufbrechen und Konfrontieren seiner Erinnerungen ein paar Jahre zuvor ein besseres Leben führen können… ob dem so war? Ich weiss es natürlich nicht, aber ich hoffe es und bin überzeugt, dass manche Musik grundsätzlich die Kraft dazu hat – und Billy Bangs Musik ganz bestimmt!
Ein letzter Post wird folgen zu „Bangception“ sowie zwei Sidemen-Alben, auf denen Bang prominent zu hören ist (Roy Campbells „Akhenaten Suite“ und „Kahil El’Zabar’s Ritual Trio Live at the River East Art Center with Special Guest Billy Bang“), danach muss ich erstmal wieder neue Musik von Bang kaufen… es gibt da aber noch einiges spannendes, die weiteren Soul Notes, die CDs des FAB Trios, und auch seine beiden letzten Releases, wovon „Above and Beyond: An Evening in Grand Rapids“ die letzte Aufnahme von Frank Lowe enthält… ich werde da bestimmt noch weiter graben müssen!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba