Re: Violine im Jazz

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gypsy-tail-wind
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Auf die Diskographie von Bangs Aufnahmen, die George Scala auf seiner Website hat, hab ich noch gar nicht hingewiesen:
http://www.mindspring.com/~scala/bang.htm

Frank Lowe und Billy Bangs One for Jazz erschien 2001 bei No More – von wann die Aufnahmen stammen, weiss ich nicht, aber sie dürften erst kurz davor entstanden sein. Begleitet werden sie von Ed Schullers flexiblem aber starkem Bass und den luftigen Drums von Abbey Raider. Grad Raiders Begleitung sorgt immer wieder für frische Momente, er klöppelt mal einen feinen groovenden Rhythmus, ein anderes Mal langt er in die vollen für ein längeres Solo.
Am grossartigsten gefällt mir aber das Spiel von Frank Lowe, den ich für einen der Giganten der freien Musik halte, der leider kaum je richtig gewürdigt wurde und wird. Sein Ton ist über die Jahre sanft, rund und voll geworden – schlicht einer der schönsten Töne am Tenorsax, die man hören kann (am eindrücklichsten wohl auf seiner CIMP-Scheibe „Bodies and Soul“, aber ich kenne noch lange nicht alles von ihm).
Bang und Lowe haben über viele Jahre immer wieder zusammengespielt (schon auf Bangs erster Aufnahme 1971 unter Alice Coltrane war Lowe dabei, ebenso auf der zweiten, Noah Howards „Live at the Village Vanguard“) und das merkt man diesem Quartett auch sehr an, die Gruppe ist eingespielt ohne je in Routine zu verfallen. Wie die Musik in aller Offenheit doch meist stark swingt, wie Bang, Lowe und Schuller einen dichten Klangteppich weben, das gefällt mir hier sehr gut. Die Musik ist von einer immensen Leichtigkeit.

Das Quartett The Jazz Doctors hat für Cadillac 1983 in London das Album Intensive Care eingespielt. Die Gruppe bestand neben Bang und Lowe aus Denis Charles (d) und Rafael Garrett (b). Die Musik ist klassizistischer, zugleich freier, lärmiger, nervöser. Charles‘ Getrommel gehört für diese Art Musik meiner Ansicht nach zum allerbesten, was man sich wünschen kann. Zum Auftakt spielen die vier die wohl ungewöhnlichste Version von Jackie McLeans „Little Melonae“, die man je zu hören kriegen wird, dann folgen Stücke von Bang, Butch Morris, Lowe und Rashied Ali, vor das Highlight, eine lange Version von Ornette Colemans Klassiker „Lonely Woman“ den krönenden Abschluss bildet.
Das McLean-Stück ist eine Art verschrobener Mainstream-Jazz, mit den Changes wird dabei ziemlich frei rumgesprungen, der Rhythmus ist so zickig und boppig wie in alten Version aus den 50ern. Bangs „Ballad with one L“ ist ein sehr lyrisches Stück, Garrett öffnet mit gestrichenem Bass, Charles untermalt ganz fein, Bang und Lowe spielen darüber die klagende Melodie. Dann beginnt Lowe ein sehr introspektives Solo, lässt sich viel Zeit, wird von Bang einfühlsam begleitet. Nach einer kleinen Zäsur soliert dann Bang, anfänglich nur von Charles‘ Cymbals begleitet. Mit Butch Morris‘ „Spooning“ endet die erste Seite des Albums, eine leicht melancholische Melodie über einem tollem Groove, den Garrett als Ostinato durch die ganze Nummer legt. Bang zupft eine Melodie, dann steigt Lowe mit dem Thema ein (bester Downtown/Jewish Radical-Vorläufer ever?), das Bang mit stark rhythmisiertem Spiel begleitet. Die Rhythmen von Garrett, Bang und Charles verzahnen sich, während Lowe darüber relaxt soliert und zwischendurch auch mal ins Atonale ausbricht, überbläst, growlt (wie er auch schon in der vorangegangenen Ballade mal kurz Flatterzunge gespielt hat) – sehr toll, wie ihm das organische Mischen von konventionellem und freiem Spiel gelingt.
Die zweite Seite beginnt mit dem recht konventionell swingenden „Loweology“ und der Leader hebt auch gleich zu einem tollen Tenorsolo ab, begleitet für einmal nur von Garrett und Charles, deren Zusammenspiel luftig und flexibel ist. Lowe steigert sich langsam in ein intensives Solo hinein, bis er quasi fliegend an Bang übergibt, der fiddelt, was das Zeug hält, viel fragmentierter und abwechslungsreicher soliert und so die recht konventionelle Stimmung des Stücks durchbricht, ohne je die Musik auseinanderfallen zu lassen. Mit Rachied Alis „Blood on the Cross“ folgt nochmal eine kurze, zickige Nummer, gar nicht so anders als der Opener von Jackie Mclean. Rafael Garrett mag nun nicht der technisch überzeugendste Bassist sein, aber sein Spiel (auch arco) grad im abschliessenden Stück überzeugt ganz enorm, sein weicher Sound, sein flexiblen Linien und melodischen Ideen – da fällt einfach wunderbar alles zusammen. Charles legt einen groovenden Teppich, während Bang und Lowe darüber zu ihren solistischen Flügen abheben. Die melancholische Stimmung, wie sie von Ornettes Originalversion bekannt ist, zieht sich dabei von Anfang bis Ende durch.

1982 hat Billy Bang mit einer exquisiten Gruppe das Album Untitled Gift eingespielt. Es ist vor einigen Jahren auch auf CD neu aufgelegt worden, mit „Sweet Space“, das ich nicht kenne (CD Review bei AAJ). Die LP erschien 1983 bei Anima Records. Don Cherry (Pocket Trumpet, Flöte, Bells), Wilber Morris (Bass) und Denis Charles (Drums) ergänzen die Gruppe, Bang spielt neben der Violine auch Bambusflöte, Congas und Bells).
Schon im öffnenden „Echovam 1678“ ist der Groove unglaublich toll, Morris legt mit seinem satten Ton den Boden, den Charles frei umgspielt – mit den Cymbals hält der die Time, mit den Trommeln wirft er eine melodische Idee nach der anderen zwischen die Beide von Cherry und Bang. Cherry klingt leicht klagend, melancholisch, ein wenig bitter. Das Stück ist wohl eins der allerbesten, die Bang je aufgenommen hat! Muss ich mir gleich zweimal anhören!
Das zweite Stück ist Ornette Colemans „Night Sequence“, Morris‘ Bass spielt sich stark in den Vordergrund, während Cherry und Bang in wilder Improvisation gemeinsam über Charles‘ dichte Rhythmen abheben. Morris gehört zu den allerbesten Bassisten dieser Generation – Fred Hopkins und Malachi Favors sind für mich wohl die einzigen, die auf demselben Niveau (aber Favors war ja eigentlich fast eine Generation älter).
Mit dem groovigen „Kora Song“ von Cherry endet Seite eins der LP. Bang spielt anfänglich Flöte, dann streicht und zupft er seine Violine, über den langsam tanzenden Bass von Morris und Charles freie Latin-Rhythmen. Cherry spielt sein Solo dann mit einem Dämpfer, ist viel leiser im Mix, teils kaum hörbar, aber das macht nichts, denn die ganze Band klingt als Gruppe so unglaublich gut, jeder hat seinen Part aber alles verschmelzt zu einem ganzen, das viel mehr ist als bloss die Summe seiner Teile.
Seite zwei öffnet Charles solo mit „Maat“, neben „Echovamp 1678“ das zweite ca. zwölfminütige Stück des Albums. Charles ist ein Trommler, der bearbeitet vor allem die Toms und die Snare, die Leichtigkeit und der Variantenreichtum seines Spiels überraschen immer wieder – und der Groove, der doch nie absehbar wirkt! Nach dem langen Drum-Intro folgt die ganze Gruppe, mit dem Thema. Auch die drei anderen steuern grossartige Soli bei, Bang als erster… er steigert sich eine Flut von Noten, Charles‘ Begleitung hält auch hier den Beat flexibel, mit kleinen Umkehrungen, Akzenten und bombs. Cherry folgt und nun dreht Morris langsam auf, er spielt zwar immer schön four to the bar, aber die Wahl der Töne und wie er mal mehr, mal weniger präsent ist, das ist sehr schön gemacht. Auch hier gibt’s eine Art fliegenden Wechsel, aus seinen walking bass Linien startet er bruchlos ins Solo, lässt den Bass singen, bleibt aber zumeist in den tiefen und mittleren Lagen und vergleugnet nicht den Charakter seines Instrumentes.
„Levitation for Santana“ stammt von Billy Bang und ist das kürzeste und freiste Stück. Es gibt hier keinen durchlaufenden Beat, alle Musiker scheinen mehr oder weniger frei und kollektiv zu funktionieren. Es geschieht unglaublich viel und die Attraktivität der Band wird sehr deutlich – die Klänge, die man mit Violine, Trompete, Bass und Drums erzeugen kann sind vielfältig, wenn Leute wie Cherry und Bang mit dabei sind, und sie sind überdies selten gehört und wirken daher sehr frisch!
Zum Abschluss folgt die zweite Ornette-Nummer, „Focus on Sanity“, ein früher Klassiker. Cherrys Anwesenheit lässt einen natürlich sowieso oft on Ornette und seine Musik denken. Charles und Ed Blackwell sind auch in ihrer leichten Art, frei und sehr swingend pulsierende Rhythmen zu trommeln nicht unähnlich. Bang spielt hier eher fliessend, während Cherry hohe Einwürfe dazugesellt und die Rhythmusgruppe den Dialog der beiden begleitet.

Für Black Saint entstand 1986 das Album Natural Balance des String Trios of New York. Neben Bang waren Gitarrist James Emery und Bassist John Lindberg Mitglieder dieser Band. Die Musik stammt von allen dreien, wobei Lindberg und Emery je zwei Stücke beisteuern, Bang eines, sowie ein zweites, gemeinsam mit Emery geschriebenes. Das Album ist das fünfte und letzte, das Bang in dieser Formation eingespielt hat (alle sind auf Black Saint erschienen: „First String“, 1979; „Area Code 212“, 1980; „Common Goal“, 1981 und „Rebirth of a Feeling“, 1983).
Die Musik ist natürlich stark von der Besetzung geprägt, es ist Kammerjazz der ruhigeren Sorte, Bangs Pizzicato erinnert oft ein wenig an Töne, wie ich sie etwa vom Kronos Quartet kenne, er wirkt hier vergleichsweise zahm, was seiner Spiellust aber keinen Abbruch tut. Emery spielt eine verstärkte akustische Gitarre (kenne mich mit diesen Dingern überhaupt nicht aus, wohl eine akustische, die aber direkt eingesteckt wird, vermute ich?). Der Sound ist also abgesehen von der Verstärkung der Gitarre und den etwas metallischen Tönen, die aufnahmetechnisch (80er halt) aus dem Bass kommen, völlig akustisch.
Auf „Seven Vice“ bearbeiten alle drei ihre Instrumente auch mit Bleistiften, Lindberg lässt seinen Bass schnarren. Erdig gehts auf „Texas Koto Blues“ zu, einem klaren Highlight dieser Session, Emery spielt Slide-artig, Lindberg legt tiefe Bass-Riffs drunter. Auf Lindbergs „Goundwork“ folgt „Shadows in the Light“, in dem Lindberg streckenweise ein Bass-Lick wiederholt, das an Coltranes „Equinox“ erinnert. Eine sehr schöne, stimmige Performance.

Mein Bericht zum String Trio of New York ist keinesfalls repräsentativ – ich kenne erst diese LP und hab sie heute zudem zum allerersten Mal aufgelegt… im Gegensatz zu den anderen drei, die ich alle mindestens zweimal angehört habe (einzelne Stücke auch dreimal), hält sich hier die Lust, die Scheibe gleich nochmal zu hören, aber recht in Grenzen. Das ist kleine „schlechte“ Musik, ganz und gar nicht, aber es ist Musik, nach der es mich wohl auch in Zukunft eher selten gelusten wird.
Entschuldigt überdies das schlechte Bild von „Untitled Gift“!

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