Startseite › Foren › Fave Raves: Die definitiven Listen › „Sterne an“ – das nüchterne Bewertungsforum › Annett Louisan › Re: Annett Louisan
grandandtDa hier im thread eh schon diskutiert wurde, frage ich einfach mal nach.
Es geht mir nicht speziell um Louisan, sondern um Ramond.
Ist doch eigentlich egal, ob da Müller, Cicero, Catterfeld oder Louisan auf der Hülle steht, oder? Hat etwas von der Machart von Stock, Aitken & Waterman. Der Künstler ist beliebig und damit austauschbar. Sehe ich das falsch?
Also, was reizt Euch alle (nicht nur Du, sokrates) so an dieser Musik?
Was Frank Ramond textlich für Frau Louisan zustande bringt, verlangt meine volle Anerkennung: Die Themen sind vielfältig, überraschend, gut beobachtet und passen so zur Sängerin, dass man ihr glaubt. Er versteht es gut, sich in eine Frau hineinzuversetzen, die Texte sind gut durchdacht und mit einer für mich lange nicht gekannten Präzision und Sorgfalt umgesetzt – da gibt es keine stolpernden Versmaße oder schiefen Reime. Ein großes Talent im deutschen Sprachraum. Dass er auch für andere schreibt, stört mich nicht im Geringsten: Wo steht eigentlich, dass dann die Qualität sinkt? Und wo, dass es austauschbar wird? Er wäre schlecht beraten, wenn er für Louisan genauso textete wie für Cicero. Sind die Texte nicht individuell passend, verliert der Künstler an Überzeugungskraft. Im amerikanischen Sprachraum ist der Auftragskomponist übrigens eine Selbstverständlichkeit.
Ähnlich die Musik: Qualität vom ersten bis zum letzten Ton. Auf dem neuen Album „Teilzeithippie” hat Louisan einen neuen Weg eingeschlagen. Die neue Platte ist etwas robuster im Sound, und auch retro, in einigen Tracks klingen Spät-60er/Früh-70er durch. Doch nicht alle Stücke wurden dem unterzogen, sondern sorgfältig mit Louisans bisherigem Stil gemischt – eine Entwicklung ohne Bruch. Jedes Arrangement passt geschmackvoll zur Komposition und jeder Ton klingt an der richtigen Stelle – da ist keiner zuviel, aber auch keiner zuwenig. Da sind Leute am Werk, die wissen, was sie tun, und sie tun es gut. Mir persönlich gefällt die warme relative Naturbelassenheit der Aufnahmen: Der ganze modische Mist fehlt. Keine billigen Drumcomputer, keine Samples, keine Streicher aus dem Keyboard, nossir, this is all handmade gourmet shit. And make no mistake: Wahrscheinlich waren ProTools am Werk, aber man merkt’s nicht, und so soll es sein.
Um Louisan zu mögen, muss man neben den beliebten melancholischen Themen auch andere Gefühle zulassen können. Wer nur auf Frust, Verlassenheit und Verlieren steht, wird enttäuscht sein. Wiewohl auch bei ihr der Grundton nachdenklich ist, geht es auch mal heiter zu, manche Songs sorgen gar für gute Laune. Der Titelsong ist, Achtung, ironisch. Die Single „Drück die 1“ ist ein Lied, das seinen Witz aus der Analogie mit der Telefonistin bezieht, die mit ihrem Ex-Freund spricht. Eine gute, überraschende Erzählperspektive hat es allemal. Die Gesangs-/Gitarrenmelodie ist ein gottverdammter Ohrwurm. Das Lied hat übrigens Alexander, Sohn von Rolf, Zuckowski geschrieben, nicht Ramond.
Klar ist das ein Projekt, ein Produkt, und natürlich ist es Unterhaltung, aber es ist wahnsinnig gut gemacht, es hat Hand und Fuß, es lebt und macht Spaß. Zum Glück verstört es mich nicht, und hässlich ist es auch nicht. Keine Literatur? Wahrscheinlich. Ist das überhaupt wichtig? Für mich nicht. Diesen Anspruch an Musik (!) zu stellen, halte ich für maßlos überzogen, 95 Prozent aller Künstler erfüllen ihn nicht. Schlager? Nein, dazu fehlen die Klischees im Text. Exzellent gemachte deutsche Popmusik, in der Leichtigkeit in Musik und Text sich mit thematischer Ernsthaftigkeit abwechslungsreich und hochunterhaltsam verbinden – so könnte man vielleicht sagen.
TheMagneticField
Vielleicht sollte Fr. Louisan mal mit Michel van Dyke kollaborieren?
Er trat im Frühjahr 2005 bei ihr im Vorprogramm auf, schrieb damals die FAZ.
--
„Weniger, aber besser.“ D. Rams