Startseite › Foren › Kulturgut › Das musikalische Philosophicum › Welchen qualitativen Anspruch habt Ihr an ein Musikmagazin (z.B. den Rolling Stone)? › Re: Welchen qualitativen Anspruch habt Ihr an ein Musikmagazin (z.B. den Rolling Stone)?
otisDas Internet wird diesen Anspruch auch in Zukunft nicht leicht erfüllen können, denke ich, da es nur Puzzleteile zu einer solchen Gesamtschau liefern kann, aber nie den Zusammenhang selbst.
Momentan denke ich das auch, allerdings wäre der Auftrag durchaus durch das Internet leistbar. Wenn man sich die Frage stellt, weshalb das Internet momentan keine Zusammenhänge herstellen kann, so ist die Antwort die Gesichtslosigkeit des Mediums. Die Musikmagazine haben über Jahrzehnte ein real existierendes Gesicht aufgebaut (welches man in Form von Papier sogar anfassen kann), wirtschaftlich betrachtet eine Marke etabliert. Dies ist der größte Wert, den die Printmagazine (zumindest die Bekannten) haben und welchen Sie gegenüber dem Internet auspielen können. „Wanna see my smilin‘ Face on the Cover of the Rolling Stone“ wird glaube ich auch weiterhin eine Relevanz für Musiker haben. Momentan gibt es keine vergleichbare „Marke“ im Internet (Pitchfork z.B. ist weiterhin nur wenigen bekannt), die eine derartige Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Warum reite ich nun auf der Aufmerksamkeit im Zusammenhang zur gesamtheitlichen popkulturellen Betrachtung rum? Nun, wenn ich sage, dass es im Internet keine vergleichbare Marke gibt, so beschreibe ich lediglich den Ist-Zustand. Es wäre durchaus denkbar, dass so etwas entstehen könnte. Ein grundlegendes Merkmal des Internets ist zwar die Diversifikation, aber spätestens seit Web 2.0 (ich hasse eigentlich diesen Begriff) findet ein Konsolidierungsprozess statt. Es werden Klammern um die schier unendlichen Informationsangebote gebildet (Technorati, Delicious, …), das Chaos wird semantisch geordnet. Noch ist diese Ordnung weiterhin eine pure Ansammlung von (nun besser auffindbaren) Informationen, aber wieso sollte die Entwicklung nicht dahin gehen, diese Informationsflut gezielt zu verpacken, gerne auch redaktionell. Und nun sind wir bei der „Marke“ angelangt. Jedes Unternehmen betreibt heute Suchmaschinenmarketing, um bei Google möglichst weit oben zu stehen, ähnliches stelle ich mir auch bei einer solchen Musikplattform vor („Hast Du gesehen, wir haben bei xxx (Namen bitte selbst ausdenken) eine Relevanz“).
Dies aber nur nebenbei und als Erläuterung des in meinem obigen Beitrag lapidar in Klammern gestelltes „momentan“.
Vielmehr möchte ich zum einen
otisDiesen muss man sich selbst erstellen oder er wird von einem guten Journalisten auf der Basis seiner Anspruchshaltung an das Kunstobjekt und seiner Stellung zur Gesellschaft dargestellt (ich würde DD da allemal zustimmen). Hier sähe ich die letzte große und wertvolle Nische für eine gute Kultur-/Musikzeitschrift: Ohne Selbstverliebtheit aus den Spuren des kulturellen Geschehens ein Bild, das sich auf Grund der ständigen neuen Inputs tagtäglich ändern mag, des kulturellen Zustandes einer Zeit abzuliefern. Viel verlangt, deshalb auch sehr abhängig von Geist und Gespür des schreibenden Journalisten.
dieses hier unterschreiben und zum anderen
otisSo könnte die Verpackung der Information, die Platzierung innerhalb des Magazin-Kontextes und von Zeitfenstern, diese selbst zu etwas Besonderen machen, was den Kauf einer Zeitschrift anregen mag und diese damit legitimiert. Nicht umsonst gibt es in den letzten Jahren, besonders in England, die vielen Themenhefte oder auf dem Buchmarkt die vielen „Bilderbücher“. Das Heft/Buch ist das Ereignis, weniger der Inhalt.
diesen Gedanken aufgreifen. Das die Magazine in ihrer physischen Existenz immer hochwertiger werden, ist mir auch schon aufgefallen (die neue Spex hat sich ja gerade diesbezüglich auch aufpoliert). Es ist sicherlich eine gute Strategie, seine Unique Selling Proposition soweit auszunutzen, dass die Attraktivität des Kaufes steigt. Sehr interessant ist vor allem Deine Aussage „Das Heft/Buch ist das Ereignis, weniger der Inhalt“. Das kann ich sehr gut nachvollziehen, bei mir ist es nämlich genau so – besser gesagt bei mir ist der Kauf schon das Ereignis, ein Grund weshalb ich keine Abos habe. Das Internet wird es niemals schaffen, genau dieses Ereignis/Gefühl zu reproduzieren, emotional spielt sich dort etwas ganz anderes ab. Genau hier liegt die große Chance der Printmagazine und ich denke, dass wissen sie auch. Man muss nur aufpassen und es nicht übertreiben. Zuviel Zucker tut auch nicht gut…
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You can't fool the flat man!