Re: "Was einen Song ausmacht" – oder die Essenz eines Songs

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daniel_belsazar

Registriert seit: 19.04.2006

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Ah UmZu den Lyrics:

… Worte haben einen Rhythmus, Phoneme haben Klangfarben. Die Sprache selbst hat Musikalität, die es zu nutzen gilt, indem man die Worte arrangiert. Hier endet die bloße Mitteilung und beginnt die Literatur.

Die Besten auf diesem Gebiet sind/waren m.E. Dylan, Cohen und Brel. Aber auch auf hinteren Plätzen tummeln sich prominente Namen, z.B. Springsteen oder Neil Young.

Genau, aber warum denn nur Dylan, Cohen und Brel? Da gibt´s doch weiß Gott andere und letztlich weitaus größere. Z.b. Homer: Ilias und Odysee waren Epen, was man mit erzählenden Gesängen beschreiben kann – letztlich Blaupause für alle Musik, bei denen der Text eine herausstechende Rolle spielt. Und was ist mit den unbekannten Dichtern des Nibelungen-Liedes oder weiteren mittelalterlichen Überlieferungen wie Edda und anderen (die mir aufgrund der sprachlichen Gegebenheiten ferner sind)? Shakespeare schrieb musikalische Sonette, die Klassiker und Nachfolgende „komponierten“ so gerne Balladen, sie schrieben Librettos und Liedtexte en masse … und und und. Wer ist denn da schon Cohen?

DER.OptimismusMelodie, Text und Rhythmus greifen nach meiner Meinung ineinander. … Nur mal als Beispiel, von guter Discomusik erwarte ich einen guten Rhythmus, wo mein Körper mitgeht, während der Text mir egal ist.

Wenn der Text egal ist, dann greifen Melodie, Text und Rhythmus wohl kaum gleichberechtigt ineinander. Der Text spielt eine Rolle in der erzählenden Musik, ansonsten spielt er tatsächlich kaum eine Rolle.

Tanzmusik dürfte der Ursprung von Musik überhaupt sein, noch vor den Epen. Wobei der Tanz auf der einen Seite mit hoher Wahrscheinlichkeit in Zusammenhang mit kultischen Handlungen der Naturreligionen stand, auf der anderen Seite vermutlich mit Initiationsriten am Übergang zur Geschlechtsreife, wie es noch heute bei Naturvölkern häufig zu beobachten ist – Blaupause für Disco und eigentlich alle soziale Tanzmusik.

Das erstere ging über dionysische Kulte im frühen Griechenland, wo es noch zumeist im direkten Zusammenhang mit naturreligiöser Entäußerung steht, über die säkularisierten römischen bacchantischen Riten und Gelage in der berauschenden und berauschten Form überwiegend in den „Untergrund“ des „ungebildeten“ Volkes über.

Währenddessen löste sich die religiöse Musik von der körperlichen Dimension, im Zuge des Übergangs von Natur- zur Universalreligion: In deren Trennung von Natur und Geist wurde dieser zur überlegenen Sphäre befördert. Die Musik dient dann der Kontemplation / Meditation, der besinnlichen Gotteserfahrung in der inneren Einkehr (und eben nicht in der entäußernden Verschmelzung des ekstatischen Tanzes), eine Ideologie, die noch heute in den klassischen E-Musik-Szenen herumgeisternd durchscheint. Und im übrigen natürlich auch im hochgeistigen Jazz von beispielsweise Coltrane. Und deswegen meint auch Benedetto noch heute, die Rockmusik sei diabolischen Ursprungs. Recht hat er, Gott sei Dank!

Zugleich wurden die musikalischen Tanztechniken in gleichförmigen Rhythmen diszipliniert, und militärisch zum Marschieren oder für einheitlich zu verrichtende Kraftarbeiten wie das Rudern verwendet. Auch die Gesänge der Sklaven auf den Baumwollfeldern im 19. Jahrhundert, die die monotone Arbeit begleiteten, ähneln dem in der Funktionsweise durchaus, wenn auch die Rhythmen durch den unterschiedenen Arbeitstakt andere sind.

Die Musik im Zusammenhang mit der Geschlechtlichkeit, die sexuell motivierte und wortwörtlich motivierende, also bewegende Musik, dürfte den weitaus überwiegenden Teil aller Musik ausmachen. So stark, wie die Libido unser aller Leben durchdringt, so präsent sind allüberall und weltweit Liebeslieder, Tanzlieder, die der Annäherung dienen und Artverwandtes, in welchem harmonischen Bezugrahmen auch immer. Es geht eigentlich immer um das Eine, und das ist auch ohne Sprachkenntnis zu verstehen, verbunden mit Melodie und meist auch mit Gesang. Hier spielt die Stimme aber als körpernächstes und damit direktestes Musikinstrument überhaupt die maßgebliche Rolle und nicht als sinnstiftender Informationsübermittler: Der Text ist unwichtig, ausschlaggebend ist der letztlich immer mitschwingende sexuelle Subtext.

Ein weiterer interessanter Seitenstrang sind noch die Kinderlieder, die der Sozialisation dienen und in ihrer Einfachheit gewissermaßen einen „kleinsten gemeinsamen Nenner“ für gesellschaftlich und kulturell übergreifende Melodien bilden – Obladi Oblada lässt grüßen. Beeindruckend war bspw. für mich eine abendliche Zusammenkunft von und mit einheimischen Fischern am Strand von Sri Lanka, wo gemeinsam gesungen wurde. Deren Lieblingslied war das Lied der Schlümpfe von Vaddder Abraham – nur die Melodie natürlich, ohne jeden Text. Das geht aber in die Richtung der „conditio humana“, der notwendigen Bedingung für Musik überhaupt, auf dem die oben genannten „höheren“ sozialen Funktionen aufsetzen.

Und natürlich gibt es unendlich viele Mischformen der wesentlichen musikalischen Grundtrends – jede einzelne kann ihre „Essenz“, ihr Wesen haben, vieles aber wird sich auf die genannten Grundströmungen zurückführen lassen.

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The only truth is music.