Re: Wilco – Sky Blue Sky

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tina-toledo
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TheMagneticFieldAllerdings bin ich gerade etwas geschockt, wo hört ihr denn da ne Fortsetzung von „Being There“.
Ich höre gerade eher ziemlich übles – wenn auch sicher spielerisch hochwertiges – Gitarrengegniedel.
Muß jetzt noch mal von vorne anfangen und mit ner andren Erwartungshaltung rangehen…

Als Fortsetzung würde ich es auch nicht bezeichnen, nur ist das Album von allen Wilco-Alben noch am nähesten an „Being There“. Es ist sicher, wenn schon eine Schublade herhalten muss, eher Classic Rock als Alt.Country. Das Gitarren“gegniedel“ finde ich trotzdem nicht dominant oder gar störend.

Ein paar weitere Gedanken: Die fließenden, perlenden Arrangements, diese neue/neuentdeckte Leichtigkeit im Bandsound umarmt einen unwillkürlich, der schlichten, beseelten Schönheit des Albums kann man sich wirklich kaum entziehen. Ohne Frage ist dies das rundeste Album ihrer Karriere. Dennoch fehlt mir ab und zu die eine oder andere Verdrehtheit und Launenhaftigkeit, die sonst auf allen Wilco-Alben – nicht nur auf „Yankee Hotel Foxtrot“ und „A Ghost Is Born“, wenngleich dort natürlich in stärkstem Maße – Akzente setzte, sowie der ganz große kompositorische Wurf wie „Jesus Etc.“ und „Hummingbird“ auf den beiden Vorgängern.
Dicker Minus-Punkt im Vergleich zu „YHF“ und „AGIB“ ist für mich aber nicht einmal vorrangig die viel betonte musikalische Simplizität und schlichte Umsetzung, sondern vielmehr so manches textlich Mediokre bis Banale. Eine sehnsüchtige, dunkel-funkelnde lyrische Offenbarung wie „Ashes Of American Flags“, „Poor Places“ oder „Via Chicago“ sucht man vergeblich, stattdessen dann z.B. „What Light“ – übrigens auch musikalisch m.E. einer der schwächeren Tracks des Albums – mit seinen hippiesken Glaub-an-dich-/Sei-du-selbst-Allerwelts-Lyrics und schnell verbrauchter Singalong-Melodie („If you feel like singing a song/And you want other people to sing along/Just sing what you feel/Don’t let anyone say it’s wrong„) und „Walken“ – wenn auch musikalisch toll – textlich auch nur mittel-wertvoll („I was walking, like I said, by myself/I was talking to myself about you/Like I always do„, etc.). Das mag alles irgendwie süß und manchmal amüsant („Hate It Here“) sein, was hier Jeff Tweedys neuer kuscheliger Heimeligkeit entsprungen ist, und natürlich freut man sich, dass Tablettenabstinenz ihm jetzt eine insgesamt klarere und optimistischere Sicht auf die Dinge schenkt, aber ein bisschen mehr Phantasie und Subtilität, mehr Interpretationsfreiraum, erwarte ich dennoch von einem so großartigen, farbenfroh zeichnenden Lyriker. Einzig der rührend-erhabene Titeltrack, das dezent countryesk beginnende, und sich später wunderbar klagend aufbäumende „You Are My Face“, und das soulgetränkte „Side With The Seeds“ (in dem sich die Erkenntis „No one wins but the thieves/So why side with anything?“ zur schönen Liebeserklärung „Embracing the situation/Is our only chance to be free/Oh, I’ll side with you/If you’ll side with me“ auflöst) strahlen heraus, und gebären in Verbindung mit diesem wunderbar beseelten Bandsound einige ganz großartige Momente. Sehe das Album im Moment bei vollen ****, und dabei wird es wohl bleiben.

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