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Morrissey in Frankfurt
Frankfurter Rundschau vom 14. Dezember 2006
VON SANDRA DANICKE
Die neue Sorglosigkeit
Heulboje in Bestform: Morrissey startet seine Deutschland-Tournee mit einem fantastischen Konzert in Frankfurt
Es dauerte keine fünf Minuten, da hing das Hemd bereits aus der Hose. Nach weiteren zehn Minuten war die hellblaue Seidenkrawatte in der Hosentasche verschwunden, nach und nach wurden Hemdknöpfe gelöst, und ein goldener Anhänger blitzte auf dezent behaarter Männerbrust. Es sollte allerdings noch eine ganze Weile dauern, bis Steven Patrick Morrissey, der inzwischen statt eines schwarzen ein hellblaues Oberhemd trug, die Hüllen fallen ließ und einen passabel trainierten Altherren-Oberkörper präsentierte.
Es war dies exakt der Moment, als es im Lied „Let me kiss you“ darum ging, dass ein geschlechtlich nicht näher definiertes Gegenüber voll Abscheu die Augen öffnet, nach dem es ihn, den Singenden, geküsst hatte. Das küssende Wesen hatte sich jemanden vorgestellt, den es körperlich bewunderte, dann sah es Morrissey und befand: iieh.
Zu billig für einen Mann mit Stil
In der Jahrhunderthalle befand selbstredend gar niemand „iieh“. Ganz im Gegenteil wurde die verschieden farbigen Hemden, die der als schwierig nur sehr unzureichend beschriebene Musiker nun in regelmäßigen Abständen in die Menge warf (nicht ohne sich vorher damit den Schweiß abgewischt zu haben), begierig aufgefangen. Nicht jeder der Anwesenden schien die Ironie zu bemerken, die auch im gnädig gewährten Händeschütteln zum Tragen kam. Manch einer warf gar Geschenke zurück. Zum Beispiel eine im Schuber verpackte Zigarre, an der Morrissey angewidert schnupperte: „Very cheap!“
Einem wie ihm, der in einer kalifornischen Villa lebt, die einst Clark Cable erbauen ließ, kann man m punkto Stil nichts vormachen. Das Image des Außenseiter-Dandys kultivierte der Brite, seit er vor mehr als zwanzig Jahren mit The Smiths seine Karriere startete. Einer Band, die in den nur vier Jahren ihres Bestehens mit ihrem stilbildendem Schmachtrock den vielleicht hingebungsvollsten Kult der europäischen Rockgeschichte ausgelöst hat. Morrissey war die Ikone sich unverstanden fühlender Teenager, einer, der die abfällige Haltung gegenüber der menschlichen Rasse zur Kunstform erhoben und empfindsame Werke geschaffen hat, die nur unsensiblen Menschen als kitschig erscheinen mögen. Sein Tollenhaarschnitt, seine Art sich zu bewegen, mit schwingenden Armen und kreisenden Hüften, Narzissen in der hinteren Hosentasche, waren die optische Übersetzung von Schwermut in einen exaltierten Glamour, der seinen Reiz nicht unwesentlich aus einer schamlos zur Schau gestellten trotzigen Weinerlichkeit bezog,
Noch heute besticht Morrissey mit ironisch-selbstgerechten Texten, die gleichwohl großartig in der Wortfindling sind. Häufiger allerdmgs stören wütende Gitarrenriffs die Harmonie, überspitzen pathetische Geigen den Weltschmerz, wenngleich in der Jahrhunderthalle keine Streicher, dafür Trompete und ein Gong zu ungewöhnlichem Einsatz kamen.
Es war ein fantastischer Abend mit einer fantastisch bombastischen Band und einem fantastisch gelaunten Morrissey, der sich stimmlich in Topform präsentierte. Manchmal kommt man um Floskeln nicht herum. Zumal der häufig als „Heulboje von Manchester“ titulierte Musiker sich keinesfalls zu schade war, sein Set mit der Smiths-Hymne „Panic“ zu beginnen. »Why worry?“ sei das Motto des Abends, befand der Mann, der kürzlich von der BBC unter die Top drei für den »Living Icon Award“ nominiert wurde, und man glaubte kurz, sich verhört zu haben. Der zickigste unter den lebenden Misanthropen propagiert Sorglosigkeit, als habe er in Rom, wo er sein aktuelles Album Ringleader of the Tormentors aufgenommen hatte, plötzlich gelernt, das Leben wenn schon nicht zu lieben, so doch zumindest zu akzeptieren. „That’s life“, rief er denn auch ein ums andere Mal in Anlehnung an einen Sinatra-Song, wenngleich es eher darum zu gehen schien, dass Morrissey immer noch nicht den Partner fürs Leben gefunden hat. „Please, please, please, let me get who I want. Lord knows it would be the first time“, schmetterte der vermeintliche Playboy in leichter Abwandlung eines wirklich sehr alten Smiths-Liedes. Die Älteren im Publikum wünschten mehrheitlich, er meine sie.
Dann sagte Morrissey noch etwas sehr Unfreundliches über Frankfurter Würstchen, doch Eingeweihte wissen: Der Mann ist Veganer.
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