Re: Dead Can Dance – Aion

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„Aion“ beginnt unheilvoll, mit Paukenschlägen und Chorgesang, als ob sich das Tor einer großen Kathedrale öffnet und eine besondere Ankunft über das Land verkündet. Welches Ereignis gemeint ist, bleibt im Dunklen. Wie auch das ganze Album oft von einer mystischen, nebeligen Aura umgeben ist. Ganz unverhofft finden wir uns im neapolitanischen Italien des 14. Jahrhunderts wieder. Wir werden Zeuge einer Hochzeit, die Menschen tanzen ausgelassen zu einer lebhaften Melodie („Saltarello“). Ziemlich bald schon wird es wieder mystisch. Der Sprung in Auerbachs Keller wäre vielleicht etwas weit hergeholt, dennoch versprüht das kurze Intermezzo („Mephisto“) eine Atmosphäre, die durchaus in Goethes Leipzig spielen könnte. Es ist der Übergang zum ersten längeren Stück des Albums „The Song of the Sibyl“, eine dunkel gehaltene Verkündigung der Apokalypse, wunderbar in Szene gesetzt durch Lisa Gerrard (teilweise Perry) und einer Kirchenorgel. Der anschließende Song „Fortunes presents gifts not according to the book“ ist eine hervorragende Adaption eines Gedichtes des spanischen Lyrikers und Dramatikers Luis de Góngora y Argote. Der Gesang Perrys transportiert die Stimmung sehr gut.

…When you expect whistles it’s flutes When you expect flutes it’s whistles
Because in a village a poor lad has stolen one egg He swings in the sun and another gets away with a thousand crimes…

Auch in der Musik schlagen sich die Dissonanzen wieder.

„As the Bell Rings the Maypole Spins“ ist ein hypnotischer Song, diesmal von Gerrards Gesang veredelt. Hier wird wohl auf die Maibaumtradition angespielt. Die anschließenden Stücke sind sehr ruhig und getragen, lediglich von intensiven „Black Sun“ unterbrochen, dem einzigen Titel, der etwas in Richtung eines konventionelleren Songaufbaus geht. Das Finale beginnt mit „The Garden of Zephirus“, einem kurzen aber sehr stimmungsvollen Zwischenstück, das auch von der Atmosphäre etwas aus dem Gesamtrahmen fällt. Die Göttin des milden Westwindes (Zephirus) verkündet den Frühling, dementsprechend fühlt sich der Hörer mitten in einem paradiesischen Garten wieder und sieht dem ankommenden Frühling entegegen. Getragen von dieser leiblichen Stimmung bringt „Radharc“ dieses stimmige Konzeptalbum zu Ende und versprüht orientalische Töne.

Das ganze Album ist wie aus einem Guss. Hervorragend gefällt mir die Produktion, die es versteht, alte Instrumente in eine moderne Produktion einzuweben. Auch die Stimmen der beiden Hauptakteure kommen sehr gut zur Geltung.

Mit Besternungen tue ich mich generell schwer, würde das Album aber kurz unter der Höchstnote ansiedeln, also ****1/2.

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