Re: The Beatles – Love

#5388295  | PERMALINK

pink-nice

Registriert seit: 29.10.2004

Beiträge: 27,368

Ein neues „Beatles“-Album?

Alles, was du brauchst
Von Eric Pfeil

[IMG]http://www.faz.net/m/%7B3A67A81F-FBF1-428A-8833-8D78F126ED82%7DFile1.JPGSie haben wohl nicht einmal mehr einen Koffer in Liverpool: Die „Beatles“ als Wachsfiguren 16. November 2006
Es dürfte sich herumgesprochen haben: Es ist nicht gut bestellt um die Popmusik und die dazugehörige Großindustrie. Jungen Bands fällt außer Neuauflagen mittelmäßiger Ideen von vor zwanzig Jahren nicht mehr allzuviel ein, echte Stars gibt es immer weniger, Robbie Williams macht jetzt depressiven Para-Hip-Hop, und dann auch noch diese Downloads – schrecklich.
Noch schrecklicher: Rettung ist nicht in Sicht. Weder für die Musik noch für die mit ihr Handelnden. Es gibt niemanden, der im derzeitigen Musikmorast in der Lage wäre, noch mal ein richtiges Zeichen zu setzen.
Ein neuer Schrei aus Liverpool
Fast niemand. Zum Glück gibt es die „Beatles“ und ihr am Freitag erscheinendes neues Album „Love“. „Love“? „Beatles“? Neues Album? Sind die nicht … – Nein, sind sie nicht. Jedenfalls glaubt die Plattenfirma EMI tapfer an ein Weiterbestehen der 1970 aufgelösten Band. Oder zumindest doch an eine kurzfristige Wiederinbetriebnahme pünktlich zum Weihnachtsfest. Und, jawohl, „Love“ ist „ein wirklich neues Album der ,Beatles‘“, das schreibt jedenfalls Tony Wadsworth, Geschäftsführer der britischen EMI, in einer Pressemitteilung.
Zur Erklärung: Sechsunddreißig Jahre nach der Trennung der Band, sechsundzwanzig Jahre nach der Ermordung John Lennons und fünf Jahre nach dem Krebstod George Harrisons meinen die verbleibenden Ex-Mitglieder McCartney und Starr im Verbund mit Yoko Ono und Olivia Harrison der Bandgeschichte der vier Alleserfinder noch ein Kapitel anhängen zu müssen. Vor etwa drei Jahren bereits trat das Grüppchen mit einer Bitte an Sir George Martin, den legendären „Beatles“-Produzenten, heran. Ob er wohl für eine Zusammenarbeit mit dem Cirque du Soleil noch mal die alten Masterbänder aus dem Keller holen und daraus einen wilden, karriereumspannenden neuen Mix schaffen könne? Gemeinsam mit seinem Sohn Giles machte sich der inzwischen Achtzigjährige an die Arbeit.
Der wiederauferstandene Lennon
Das Ergebnis liegt nun vor und läßt auch Paul McCartney kurz die Realität vergessen: „Dieses Album bringt die ,Beatles‘ wieder zusammen, denn plötzlich sind John und George wieder mit mir und Ringo zusammen.“ John Lennon und George Harrison dürften das anders sehen, aber nun ja, der Überschwang. Auch Yoko Ono hat etwas zur Platte zu verkünden: „Das Album vermittelt das Gefühl von Liebe, und deswegen heißt es auch ,Love‘.“
Am Dienstag der vergangenen Woche lud die Plattenfirma in den Kölner Mediatower, wo der gesamten Musikjournalistenmischpoke das „neue Beatles-Album“ stilvoll und im Surround-Sound um die Ohren geblasen werden sollte. Mit dem Aufzug geht es hinauf in die Lounge, von wo aus man einen einmaligen Blick über die Stadt genießt.
Die Restbeatles sind freilich nicht anwesend. Ist erstens bei sogenannten Listening-Sessions nicht üblich, zweitens wurden ja alle Statements bereits vorab auf Zetteln ausgeteilt, und drittens wäre sowieso nichts dabei rumgekommen: Paul McCartney, der noch vor nicht allzu langer Zeit für diverse „Beatles-Songs“ den Songschreiber-Credit „Lennon/McCartney“ in „McCartney/Lennon“ ändern lassen wollte, ist gerade in einen ebenso häßlichen wie öffentlichen Ehekrieg mit seiner Nochfrau Heather Mills verstrickt und wäre vermutlich sehr unkonzentriert gewesen, und Ringo Starr hätte vermutlich eh nur rumgesessen, gegrinst und das Peace-Zeichen gemacht.
Warum dann überhaupt so ein Theater? Hätte man nicht einfach ein paar Vorabmuster an betagte Beatles-Experten in den diversen Redaktionen schicken können? Natürlich nicht, weil sich auch unter betagten „Beatles“-Experten mindestens ein Finsterling gefunden hätte, der „Love“ kaltherzig ins Netz gestellt hätte, was das Konzept der „Liebe“ (Yoko Ono) ja wohl völlig pervertiert hätte.
Alles, was du brauchst
Oben im Mediatower hat die freudig aufgeregte Deutschland-Dependance der EMI für den feierlichen Anlaß hübsch dekorieren lassen: Überall stehen Aufsteller und Papptafeln mit dem „Love“-Cover herum. Am Eingang werden alle Mobiltelefone eingesammelt und in Umschläge gestopft; im Gegenzug bekommt man eine Abholmarke – ebenfalls mit dem „Love“-Cover drauf – und darf sich einen „Love“-Button anheften. Kellner schwirren umher und reichen Getränke und Käsehäppchen mit „Love“-Servietten; die Kellner tragen als einzige die „Love“-Buttons.
Trotz aller Hochsicherheitsvorkehrungen bemühen sich die Plattenfirmenmitarbeiter deutlich um eine freundliche Atmosphäre. Bevor man sich aber mit seinem Käsebällchen zwischen die Surround-Boxen setzen darf, geht es, nunmehr telefonlos, noch durch einen Sicherheitscheck. Ein netter schnauzbärtiger Engländer mit Bluthochdruck checkt jeden Journalisten mit einem Detektor ab, wie man ihn von Flughafenkontrollen kennt. Er trägt keinen „Love“-Anstecker.
Dann gegen Viertel nach zwölf ist es soweit. Nach ein paar einleitenden Worten der Plattenfirmenchefin legt der schnauzbärtige Sicherheitsbrite die Audio-DVD „in hoch auflösendem 96/24 5.1 Surround Sound“ (Pressemitteilung) ein. Die gespannten Journalisten hören: ein Wabern, ein Mäandern, ein Anschwellen. Dann schält sich das von McCartney vorgetragene „Get back“ aus dem Soundgeschliere heraus. Klingt gut, sehr gut sogar, ist aber eben auch „Get Back“, dieser schön stumpfe Roots-Rocker, mit dem McCartney Ende der Sechziger noch mal an anfängliche Bodenständigkeiten anknüpfen wollte.
Songs außer Rand und Band
Plötzlich schießen von irgendwoher orchestrale Überschalleffekte aus „A Day In The Life“ durch den Song. Dann ein psychedelisch versuppter Übergang auf „Glass Onion“, das aber nur kurz angedeutet wird. Es folgt „Eleanor Rigby“, bei dem die Herren Martin zwischendurch die Streicher auch mal ganz alleine dastehen lassen, was hübsch klingt, aber weder neu noch vonnöten ist. „Drive My Car“, „The Word“ und „What Your Doing“ werden zu einem Song zusammengestampft, was sich eher nach „Stars On 45“ als nach „Mash Up“ anhört und auch wenig zwingend wirkt. „Gnik Nus“ ist „Sun King“ rückwärts und letztlich eine Unverschämtheit.
Immer wieder knallen die Martins deutlich wieder erkennbare Sound-Effekte, Instrumental-Fetzen und Chöre in die Stücke hinein, die eigentlich anderen Songs entstammen. Das ist manchmal irritierend, oft sogar lustig und unterhaltsam. Wichtig, in irgendeiner Form notwendig oder gar „ein wirklich neues Album der Beatles“ allerdings ist all das nicht.
Selbstverständlich ist es spaßig, das Hühnergeschnatter bei „Lady Madonna“ nun als äußerst präsenten, ausgestellten Teil zu hören. Allerdings fragt man sich unwillkürlich: Was soll das? Zurück ins Song-Gehege mit dem Vieh! Einige Journalisten wippen mit, doch das, wozu sie wippen, ist nicht das Gemixe und Geschliere, sondern der reine Song, der unzerstörbar, unmashbar und unerneuerbar bleibt. Sicher, in manchen Momenten klingt „Love“ atemberaubend, und der Klang ist tatsächlich großartig. Allerdings sind Tom-Cruise-Filme auch häufig atemberaubend und technisch auf dem neuesten Stand.
Als die Demonstration nach gut fünfundvierzig Minuten vorbei ist, sammelt man sein Mobiltelefon wieder ein. Man beschließt, mal wieder ein paar länger nicht gehörte „Beatles“-Platten rauszukramen, „Love“ aber möchte man schnell wieder vergessen. Und man denkt an John Lennon, der 1970, soeben von den Beatles befreit, auf seinem ersten Solo-Album sang: „Love is real, real is love.“
Das Album „Love“ ist bei EMI erschienen.

--

Wenn ich meinen Hund beleidigen will nenne ich ihn Mensch. (AS) „Weißt du, was ich manchmal denke? Es müsste immer Musik da sein. Bei allem was du machst. Und wenn's so richtig Scheiße ist, dann ist wenigstens noch die Musik da. Und an der Stelle, wo es am allerschönsten ist, da müsste die Platte springen und du hörst immer nur diesen einen Moment.“