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Ein viertel gemischtes Schwein-Walross-Hack, bitte
Morgen erscheint ein „neues“ Album der Beatles: „Love“ ist eine Zirkus-Oper, erdacht von George Martin und seinem Sohn
von Robert Rotifer
St. John’s Wood, nordwestlich des Regent’s Park, ist nicht gerade das spannendste Londoner Viertel. Fette schwarze Allradwagen wälzen sich durch von privaten Wachdiensten beschützte Straßen. Vor den Eingängen von Schulen und Kindergärten stehen Leibwächter. Das lärmige, dreckige, lebhafte London der minder betuchten Massen ist nur ein paar Häuserecken von dieser Blase des Reichtums entfernt, aber es könnten genauso gut Welten sein. Jedenfalls sieht die Gegend kaum wie eine Brutstätte der Popkultur aus – dabei stehen dort immer noch genau jene Abbey Road Studios, hinter deren nüchterner grauer Fassade vier Rüpel aus Liverpool einst mit ihrer flotten Mischung aus melodischer Verwegenheit und bübischem Charme die Welt veränderten.
An der niedrigen Vorgartenmauer gleich neben dem – vom „Abbey Road“-Plattencover bekannten – Zebrastreifen hinterlassen die Touristen noch immer gern ihre Grußbotschaften. Doch werden diese regelmäßig cremeweiß übermalt, und abgesehen von ein paar Fotos lebender und verblichener Pop-Legenden im Abgang zur Kantine präsentiert sich das Innere des Gebäudes nicht als Museum, sondern als funktioneller Arbeitsplatz. Historisch gewordenes technisches Gerät mit klobigen Bakelit-Reglern staut sich in den Gängen, aber hinter den schweren Studiotüren dominiert das 21. Jahrhundert klar über jeden sentimentalen Bewahrungsdrang.
Kürzlich wurde hier ein blondgetäfelter Raum freigemacht, um der von fetten Surround-Sound-Boxen umzingelten Musikpresse das „neue“ Album der Beatles zu präsentieren: „Love“. Als das kostbare CD-Unikat in Rotation gerät, verfällt die versammelte Journalistenschar in angestrengtes Schweigen. Während „Lady Madonna“ dreidimensional durch den Raum rumpelt, erhebt sich ein belgischer Kollege aus seinem Sitz, drängt sein Ohr ganz nah an einen der Lautsprecher, spitzt konzentriert die Lippen und nickt wissend. Dann wendet er sich einem zufällig herumstehenden Pianino zu, öffnet sachte die Klappe, senkt seine Nase parallel zu den Tasten und mustert mit Kennerblick die sich ihm offenbarende Geometrie; an einem nebenan platzierten Spinett wiederholt er die eigenartige Zeremonie. Bei der folgenden Audienz mit Sir George Martin wird er den mittlerweile 80-jährigen Beatles-Produzenten begeistert als einen großen „Klangarchitekten“ bezeichnen.
Das unter Fans und Journalisten eines gewissen Jahrgangs weltweit zu beobachtende Syndrom unterwürfigster Beatles-Verehrung ist einer der Hauptgründe dafür, dass ein Projekt wie „Love“ überhaupt zustande kommen konnte. Nachdem bereits in der „Anthology“-Serie der 1990er-Jahre das Archiv der Bänderreste geplündert worden war, bedurfte ein „neues“ Beatles-Albums nun nicht mehr bloß jeder Menge technischer Trickserei, sondern auch der frommen Rezeption seitens der Mythenpfleger. Dabei ist die von der Pop-nostalgischen britischen Monatsbibel „Mojoö in ihrer jüngsten Ausgabe bereits zum Klassiker erklärte CD eigentlich nichts anderes als eine Zirkusmusik, die auf alten Beatles-Liedern basiert.
Es war Guy Laliberté, einer der Gründer der Akrobaten-Truppe Cirque du Soleil, der mit dem inzwischen verstorbenen George Harrison die Idee einer auf dem Werk der Beatles basierenden Show ausheckte – die beiden Formel-1-Fans trafen einander regelmäßig auf den Ehrentribünen der Grand-Prix-Rennen. Eigens für „Love“ wurde im Hotel- und Kasino-Komplex „The Mirageö in Las Vegas die alte Siegfried-und-Roy-Bühne demontiert und an ihrer Stelle ein rund hundert Millionen Dollar teures Theater erbaut, und der bei Apple Records für die musikalische Erbverwaltung zuständige Beatles-Intimus Neil Aspinall beauftragte Sir George Martin mit der Erstellung eines zu den Kapriolen der Artisten passenden Soundtracks.
Als Martin 1962 seine erste Sessions mit Lennon, McCartney & Co. produzierte, lag sein Spezialgebiet eher in klassischer Musik als im Rock’n’Roll – Kenntnisse, die den Beatles Jahre später bei ihren Sound-Experimenten und orchestralen Arrangements sehr gelegen kommen sollten. Doch selbst der kaum als bescheiden bekannte, geadelte Altmeister sah wohl ein, dass seine Qualifikation heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht werden könnte. Also brachte er seinen in neuen Technologien versierten 37-jährigen Sohn ins Spiel: Giles Martin ist ein gutaussehender blonder Kerl in Turnschuhen und Sakko, der seinem schon etwas schwerhörigen Vater zuliebe alle Journalistenfragen mit selbstbewusst sonorer Stimme wiederholt: „Ich glaube, bevor Apple meinen Vater kontaktierte, wollten die so etwas wie bei Elvis, wo einfach Beats auf die Songs gekleistert wurden. Das ist großartig geeignet für Sommer-Hits, aber es altert nicht gut. Also trafen wir die Entscheidung, dass man in unserem Soundtrack ausschließlich die Beatles spielen hören sollte.“
Martin jr. ließ sämtliche Archivbänder ausheben, digitalisierte und katalogisierte jede Tonspur und zeigte seinem Vater, wie nahtlos sich die verschiedensten Parts im Computer kombinieren ließen. Nach ein paar ersten Experimenten führten die beiden Martins den Witwen Yoko Ono, Olivia Harrison sowie den Herren McCartney und Starr ein paar Tracks vor. „Fantastisch, George, du kannst nichts falsch machen“, soll Ringo gesagt haben, während Sir Paul sich gerade an einer Neukombination der Cellos aus „Piggies“ mit den Chören von „Hello Goodbye“ ergötzte.
Mit dem Sanktus der Beatles-Restfamilie fuhren Martin & Martin nach Las Vegas, um für den Cirque du Soleil mit digitalen Mitteln den Klangeindruck eines Live-Auftritts zu vermitteln. „Einfach nur Beatles-CDs mitzunehmen und auf Play‘ zu drücken, hätte die Frage aufgeworfen, wofür wir eigentlich bezahlt werden“, erklärt Giles Martin – in vollem Bewusstsein, dass kaum alle Fans sein Make-over goutieren werden: Braucht „Strawberry Fields“ wirklich Beiwerk aus acht anderen Beatles-Songs? Ganz zu schweigen von Potpourris aus „Within You Without You“ und „Tomorrow Never Knows“ oder einer an Stars on 45 erinnernden Kollision von „Drive My Car“ mit „The Word“ und „What You’re Doing“.
„Die Musik der Beatles ist gut genug, um der Bearbeitung standzuhalten, der wir sie ausgesetzt haben“, insistiert George Martin. „Ich hatte erwartet, bei der Premiere vernichtet zu werden, schließlich haben wir mit dem heiligen Gral gespielt. Aber ich habe kein schlechtes Gewissen, wir haben das Richtige getan. Andere werden das kopieren. Brian Wilson wird versuchen, so etwas Ähnliches zu machen. Oder die Bee Gees. Oder U2. Ich glaube, es wird einen Trend auslösen.“
Einen Moment lang sieht es tatsächlich so aus, als rollte Giles Martin im Hintergrund seine Augen in der Manier eines von den hoffnungslosen Ambitionen seines Vaters peinlich berührten Teenagers. „Wir waren anfangs schon besorgtö, setzt der Vater unbeirrt fort, „weil es eine Armee von Beatles-Fanatikern gibt, die jede einzelne Note kennen, die diese Band je aufgenommen hat. Aber wenn man davor Angst hat, müsste man die Aufnahmen der Beatles einfach so lassen, wie sie sind.“ Allerdings. Das wäre eine Möglichkeit gewesen.
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