Re: The Jazz Crusaders

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gypsy-tail-wind
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Als Ergänzung zum obigen noch: die ausführlichen Statements von Hooper, Felder und Sample finde ich sehr erhellend, was die Einordnung der Musik der Jazz Crusaders betrifft, und auch was die Haltung betrifft, die zu ihrer Musik führte. Ist mir jedenfalls sehr sympathisch, diese Einstellung – und im modernen Jazz sind ja solche langlebigen Gruppen, die einen wirklich eigenen Sound geschaffen haben und ihn über Jahre gepflegt haben, sowieso viel zu selten.

Nach dem erfolgreichen Gig im Lighthouse ging die Band zum ersten Mal on the road. Mit sehr durchzogenen Resultaten:

Distaste for flying, the hostile response of many critics and the limited economics of club performances did not endear the road to the band. „The opportunities to work were limited in the ’60s,“ Sample explains. „We did mostly clubs, some we loved and some we never wanted to go back to. The club syndrome was horrible – especially for the jazz piano player. You had to walk into every bar and deal with every piece of shit you ran across.“
„Since we lived in LA, how much could the Village Vanguard pay to bring us there?“ Hooper says about the band’s failure to make a club appearance in New York City. „And once we got popular enough to play concerts, why play clubs? We did work places like Crawford’s Grill in Pittsburgh and the Key Club in Newark, but once you start making it, five guys don’t want to drive cross country with their bass and their drum kit.“
„We did travel to cities like Detroit, Cleveland, Minneapolis and Buffalo in the early days,“ Felder, „but the critics there didn’t always have the best view of our music. Of course, we played what we wanted to play, not what they wanted us to play. I think the whole East Coast/West Coast categorization made people put us in a category.“

~ Joe Sample, Stix Hooper und Wilton Felder im Gespräch mit Bob Blumenthal, nach: Bob Blumenthal (May 2005), Liner Notes zu „The Jazz Crusaders: The Pacific Jazz Quintet Studio Sessions“, Mosaic MD6-230, p. 5f.

Das vierte Album für Pacific Jazz, Tough Talk, wurde an zwei Tagen im Februar 1963 aufgenommen. Vier der Stücke wurden auch auf Singles veröffentlicht, entsprechend ist die Musik oft etwas eingeschränkter als auf den Live-Aufnahmen. Felder hat fünf der neun Stücke geschrieben, darunter den souligen Opener „Deacon Brown“, das ein wenig an Ray Bryants „Tonk“ im Arrangement des Jazztets erinnert. In „Turkish Black“ sind einmal mehr exotisch angehauchte Klänge zu hören, es wurde ein paar Jahre später für das Big Band Album Talk That Talk (das leider nicht im Mosaic-Set enthalten ist, ich kenne es nicht) erneut aufgenommen, mit Sample an der Orgel.
Sample hat das Arrangement von „Brahms‘ Lullaby“ geschrieben – im Vergleich mit der Aufnahme hier klingt Clark Terrys Fassung müde und langweilig… aber redbeans wäre wohl auch hiermit nicht zufrieden. ;-)
Dann folgt die Studio-Version von „Boopie“, in der besonders Sample mit einem tollen Solo heraussticht, das von einer grossen Dringlichkeit ist. Das Titelstück ist eins der wenigen, das die Band (genauer: Sample, Hooper und Henderson) gemeinsam geschrieben hat. Es gehört zu den am häufigsten aufenommenen aller Jazz Crusaders Stücken (eine Latin-Version ist auf Chile Con Soul zu hören, eine Live-Version als Bonus auf der CD-Ausgabe von Lighthouse ’68 und eine Crusaders-Version auf dem Album Second Crusade). Sample spielt Cembalo, Hooper groovt wie die Hölle (vielleicht etwas zu klischiert?) und Felder glänzt mit einem erdig-reduzierten Solo, in dem sein riesiger Sound sehr schön zu hören ist. Natürlich war das hier auch eine Single… auch in Felders „No Name Samba“ (der B-Side von „Tough Talk“) spielt Sample das Cembalo, Felder spielt für einmal Altsax, aber viel mehr als das Thema und ein Sax-Solo, das nahe am Thema bleibt, hat die Nummer nicht zu bieten. Das Arrangement ist allerdings hübsch, irgendwo zwischen Getz‘ Version der Bossa Nova und George Gruntz‘ späteren Barock-Experimenten… mehr Substanz hat Henderson „Lazy Canary“, das mit seinem call-and-response Thema ein wenig an sein „Congolese Sermon“ erinnert.. Das Stück ist von einer getragenen Atmosphäre, auch die Soli klingen ein wenig gedämpft, was gar nicht schlecht ist. „Lonely Horn“ ist eine wunderschöne Ballade, in der Komponist Felder der einzige Solist ist. Die Melodie wie auch sein Solo sind wunderbar, voller Ideen. Zum Abschluss folgt Samples „Brother Brnard“, eine boppige Linie über stop-time Rhythmen, die sich für die Soli zu einem swingenden 4/4 verdichten.

Im September 1963 nahm die Band (noch immer mit Bobby Haynes am Bass) das nächste Pacific Jazz Studio-Album auf, Heat Wave. Die Stücke wurden noch kürzer (danach wurden sie allerdings wieder länger) und das Album enthielt elf Titel. Ein weiterer, „You Are Only Sometimes Rain“, endete auf dem nächsten Album und „Moon River“, mit 4:42 Dauer das längste Stück der drei Sessions, blieb im Kasten bis 2005 die Mosaic-Box erschien. Trotz der Kürze erschien dieses Mal aber nur eine einzige Single, „On Broadway, mit dem Titelstück als B-Side.
„Moon River“ wird von Henderson unbegleitet und mit Dämpfer präsentiert, dann steigen Sample und die Rhythmusgruppe ein, die Stimmung ist leicht düster, aber Hendersons Ton öffnet sich allmählich… dann folgt Felder mit einem tollen Solo und zum Ausklang nochmal Henderson mit dem Thema.
Das eigentliche Album beginnt dann mit „On Broadway“, getrieben von einem heftigen Boogaloo Beat von Hooper. Felder unterlegt Hendersons Solo mit einem stotternden Riffs, das ist alles sehr effektvoll gemacht, aber die Musik nimmt in dieser Phase doch zunehmend an Komplexität ab und die Solisten verlieren immer mehr an Freiraum. Ein grosser Teil der Titel sind Covers: da ist Hoyt Axtons „Green Black Dollar“ (das erste von vier Stücken, auf dem Sample am elektrischen Piano zu hören ist), Pat Ballards „Mr. Sandman“, Irving Berlins Titelstück „Heat Wave“, John Barrys „Theme from ‚The L-Shaped Room‘ (aka T-Shaped Twist)“ und zudem ein Stück des Kollegen Les McCann, „Sassy“. Daneben stehen fünf Originals: Samples „Close Shave“ und „Free Sample“ sowie in dieser Reihenfolge am Ende des Albums Hendersons „Some Samba“, Hoopers „Stix March“ und Felders „Purple Onion“.
Ein Highlight ist „Free Sample“, das aus einer 18-taktigen Form besteht: 8 Takte Standard-ähnlich, dann 6 Takte Gsopel und zum Abschluss 4 harmonisch absteigende Takte, die alles zusammenbringen. Sehr schön, zu hören, wie die Solisten Sample, Felder und Henderson nicht nur locker mit dieser Form fertig werden sondern auch die verschiedenen Teile zusammenführen.
Das Cover von „Mr. Sandman“ wird im tänzelnden 3/4 präsentiert, erinnert durchaus an Miles‘ Walzer, etwa seine Version von „Someday My Prince Will Come“ auf dem gleichnamigen Album – Samples Spiel hat hier auch etwas von der fröhlichen Leichtigkeit Wynton Kellys. Henderson präsentiert das Thema mit dem Dämpfer. Les McCanns „Sassy“ ist überraschenderweise keine Soul-Nummer sonder ein schnelles Uptempo-Stück, das die Bläser und Sample im Dialog mit Hooper präsentiert.
Trotz der Kürze der Stücke gelingen Henderson, Felder und Sample immer wieder schöne Soli und die Band ist auch hier atmosphärisch sehr stark… aber man wünscht sich sehr oft, dass etwas mehr Raum da wäre, dass sie alle einen Gang hochschalten und richtig loslegen würden.

Die nächste Aufnahme war eine Zusammenarbeit mit Les McCann, die unter dem Titel Jazz Waltz erschien. Leider ist sie nicht im Mosaic-Set enthalten und mir unbekannt. Die Crusaders haben nur das Titelstück beigetragen, das allerdings von Bassist Haynes stammte, der auf dem Album zum letzten Mal mit der Gruppe spielte.

Im Juli 1964 war die Gruppe mit Bassist Monk Montgomery zurück in den Pacific Jazz Studios um das Album Stretchin‘ Out aufzunehmen. Auf drei Stücken stiess Joe Pass dazu, die Palette wurde zudem durch Wayne Hendersons Griff zum Euphonium (auf zwei Stücken) und einem weiteren Stück mit Felder am Altsax ein wenig erweitert. Das Album enthielt acht Stücke, davon stammt eins wie erwähnt von den Sessions vom September 1963. Montgomery spielt übrigens hier wie auch auf dem folgenden Album nur Kontrabass – das war der Sound, den die Jazz Crusaders damals haben wollten, nicht derjenige des Fender Basses, zu dessen Pionieren Montgomery gehörte.
Wie der Titel schon sagt hat die Musik hier wieder mehr Raum, sich zu entfalten. Schon Felders Opener „Long John“ legt dieser mit einem sorgfältig aufgebauten, langen Solo los. Henderson folgt mit einem schönen Solo, dann Sample – aber das hier ist Felders Show! Das Stück war eine von zwei Singles (es wurde dazu gekürzt, ebenso wie „I’ll Remember Tomorrow“, die andere Single).
Auf Sir Charles Thompsons „Robbins‘ Nest“ steht Felder gleich nochmal im Mittelpunkt… das Stück war eine der grossen Paradenummer von Illinois Jacquet, einem der wichtigsten Texas Tenors der älteren Generation. Felder streut ein paar Eigenheiten ein, die an Jacquet oder Arnett Cobb gemahnen, lässt sie mühelos mit seiner eigenen, schlankeren Konzeption verschmelzen. Sample ist der andere Solist hier und glänzt auch mit toller Begleitung. Henderson übernimmt beide Male im Thema die Bridge und spielt hier Euphonium.
Das nächste Stück, „You Are Sometimes Rain“ stellt Komponist Henderson ins Zentrum. Die Ballade ist über ungewöhnliche Changes geschrieben und regt auch Felder zu einem schönen kurzen Solo an. „Out Back“ ist eine wenig bekannte Komposition von Wes Montgomery. Die statische Harmonie des Stückes führt be Felder zu ein paar Coltrane-artigen Licks, Henderson nimmt darauf Bezug, indem er bei seinem Solo-Einstieg „My Favorite Things“ zitiert. Joe Pass ist hier zum ersten Mal zu hören und spielt sein einziges Solo des Album. In Garnett Browns „Bachafillen“ (das später auch von Booker Ervin und dem Thad Jones/Mel Lewis Orchestra aufgenommen wurde) ist Stix Hooper mal wieder solistisch zu hören. Die Pedal-Point-Nummer swingt toll und das Schlagzeug Solo wird über den Beat von Montgomery/Sample gespielt.
„I’ll Remember Tomorrow“ von Sample stellt ihn sowohl als Komponisten als auch als Pianisten vor – ein wunderbares Stück! Pass ist in der Rhythmusgruppe zu hören und trägt wesentlich zum Feeling bei. Sample glänzt hier, kann sich aber gemäss seinen Äusserungen gegenüber Blumenthal nicht mehr an dieses Stück erinnern:

„I have no recollection of even writing this piece,“ he says now, „but it probably came out of a concern for my future. I was often prompted by fear, like when I heard racist politicians promise to ‚keep the nigger in place,‘ and I wanted to make sure that I didn’t have a place where they could keep me.“

~ Joe Sample im Gespräch mit Bob Blumenthal, nach: Bob Blumenthal (May 2005), Liner Notes zu „The Jazz Crusaders: The Pacific Jazz Quintet Studio Sessions“, Mosaic MD6-230, p. 8.

Das wunderbare Stück gehört jedenfalls zu den Highlights aus den ersten Jahren der Jazz Crusaders!
Es folgt „Polka Dots and Moonbeams“ ein seltener Standard im Crusaders-Repertoire. Pass begleitet Henderson, der am Euphonium im Rubato das Thema präsentiert. Felder spielt in seinem halben Chorus Altsax, erinnert ein wenig an den anderen Texaner, der Tenor- und Altsax spielte, David „Fathead“ Newman.
Zum Abschluss hören wir Samples „Sweetwater“, ein Funk-Stück mit einer Latin-artigen Bridge. Solistisch ist nur Felder mit einem einzigen Chorus zu hören – trotz der Kürze des Stückes wurde es nicht zur Single, allerdings wurde es als „Agua dulce“ im folgenden Jahr für das Album Chile Con Soul erneut eingespielt und dann auch als Single ausgekoppelt.

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