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BONNIE ‚PRINCE‘ BILLY: I See A Darkness
Domino 1999
Der Reiz, das Dunkle der Welt durch die Augen von Will Oldham sehen zu wollen, die seelische Leiter hinabzuklettern und in tiefenlose Abgründe zu schauen, ist leicht zu erklären: Weil er eigene Empfindungszustände, die man selbst nicht in Worte fassen kann oder will, transportiert, Grenzen überschreitet, die man sich selbst nicht traut zu überschreiten, Mauern einreißt oder Gedanken aufruft, die man sich selbst nicht ein- oder zugesteht und so Emotionen durch Melodien und Wörtern katalysiert.
Oldham erschuf für die Reise in die Dunkelheit ein eigenes Augenpaar und inthronisierte sich als Bonnie ‚Prince‘ Billy, angelehnt an einen englischen Königssohn, der aus dem römischen Exil heraus kläglich mit einer versuchten Invasion Englands scheiterte. I See A Darkness greift dieses Motiv auf und beschreibt in elf Poemen das Scheitern der menschlichen Existenz und seiner Beziehungen, der Suche nach Tiefe, Hoffnung und dem Streben nach kleinen Momenten des Glücks.
Und so erzählt Bonnie Billy seine schwer fassbaren und selten greifbaren Geschichten in Moll und Dur über die Ängste, alleine durch’s Leben gehen zu müssen, der Sinnlosigkeit der täglichen Arbeit, fehlenden Mut, Freundschaft, Tod oder Sex und schwankt zwischen Zynismus, Ironie und Witz. Musikalisch schlingert der Prinz durch minimale Arrangements, oftmals reichen dezent gesetzte Pianoakkorde aus, um den Hörer in Wallung zu bringen, während im Hintergrund zarte elektronische Gitarren und streichelnde Besen die sepiengefärbten Bilder umspielen. Stimme und Stimmung sind gedämpft, ein Hauch von Verzweiflung und Fatalismus liegt in der Luft und Billy sucht mit seiner verlorenen Stimme nach Liebe, wo keine Liebe ist, nach Hoffnung in der Aussichtslosigkeit und Licht im Dunkeln.
So verzweifelt und niederdrückend sich das lesen mag und auch stellenweise durchklingt, I See A Darkness ist kein depressives, selbstmitleidiges Evangelium sondern birgt in all seiner scheinbaren Trostlosigkeit eine reichhaltige Schönheit, welcher man sich nicht entziehen kann. Die kataplektischen Momente am Ende von „Normadic Revery“, wenn sich die brüchige Stimme des Prinzen im Dreiklang mit dem Harmoniegesang und einer umherirrenden E-Gitarre überschlägt, in der unglaublichen Langsamkeit und auflösenden Spannung des Titelsongs oder der bedrohlich-traurigen Coda von „Another Day Full Of Dread“: „dread and fear should no be confused, by dread i’m inspired, by fear i’m amused.”. Es schnürt mir immer wieder die Kehle zu.
I See A Darkness gibt keine Antworten auf die universellen Fragen, die Bonnie Billy anspricht, gibt keine Ratschläge, sondern stellt nur fest. Am Ende durch Bonnie ‚Prince‘ Billys Welt kehren wir zurück aus der Dunkelheit und tragen den gleichen emotionalen Rucksack wie zuvor, nur fühlt er sich nun etwas leichter an.
Das Einzige was uns Oldham für den Weg aufwärts der Seelenleiter mitgibt, sind die sonnigen Worte am Ende des hoffnungsvollen „Raining In Darling“: „oh it don’t rain anymore, i go outdoors, where it’s fun to be“. Vielleicht ist die Antwort ja auch so einfach.
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and now we rise and we are everywhere