Re: Nikos Favoriten

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bryter-layter

Registriert seit: 13.08.2007

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Gute Review, Nikodemus.

Mir selbst bedeutet Nicos Musik viel. Ihr Leben ist verstörend, fasziniert aber ebenfalls.

Sie wäre lieber als Mann geboren, ist Model, will dann nicht mehr schön sein, zerstört sich gezielt selbst, will künstlerisch freier sein, wird es, wird durch die Droge wieder eine Marionette… Dazu auch die Unterschiede des zuckrigen Folkpops der Single, den Velvets, des klanglich eher leichteren, erst etwas melancholischen Solodebüts, dem sperrigen Harmonium, später wird sie als Gothic-Vorreiterin gesehen. Dann die Geschichten mit ihrem Sohn, den sie angeblich angefixt haben soll, sie wird clean und stirbt dennoch. Das Blutgerinsel, die Quittung des jahrelangen Drogenmissbrauchs.

Chelsea Girl halte ich für ein sehr schönes Album mit exquisitem Songmaterial, gerade die Arrangements, über die Nico so erbost war, gefallen mir. Sie soll das Album ja bald nach der VÖ nicht mehr besessen und gehört haben sollen. Ich sehe hier, was meinen persönliche Sammlung betrifft, eine Parallele zu Tim Hardins erstem Album. Auch dort gefallen mir die Streicherarrangements ausnehmend (wobei Nico wohl mehr Mühe mit den Flöten hatte), der Künstler hingegen sieht dadurch sein Werk verschandelt.

Das Nico auf einem Ohr taub war, wusste ich noch gar nicht, danke für die Info. Zwei kleine Spitzfindigkeiten habe ich noch: Nico sass zwar beim Kollaps auf dem Fahrrad, das Blutgerinsel befand sich allerdings schon Wochen in ihrem Kopf. Die unangemessene Kleidung in schwarzer Lederkluft im Hochsommer und die Abweisung bei mindestens einem Krankenhaus, begünstigten den Kollaps und dessen tödlichen Verlauf. Daneben habe ich auch schon gehört, dass sie den Namen nicht von dem griechischen Regiesseur entlieh, sondern dieser Künstlername andersweitig entstand. Die griechische Regiesseur-Variante ist jedenfalls weit verbreitet.

Die Faszination für Nicos Musik – deren Stimme, wie du ganz richtig erwähnst, oft monotoner und ausdrucksloser beschrieben wird, als sie tatsächlich ist – speist sich bei mir aus den frühen Aufnahmen. Der tollen Single also, den Beiträgen zur Bananen-LP und dem Album Chelsea Girls. Die kommenden Werke, wo Nico von der Marionette zur sehr eigenständigen Stilistin wurde, besitze ich, abgesehen von Drama of Exile, ebenfalls. Diese Alben müssen sich mir aber noch richtig erschliessen. Jedes ist auf seine Art interessant. Bei Avantgarde wähle ich oft einen schonenden, schrittweisen Zugang. Wirklich oft höre ich sowas aber dann auch bei Gefallen nicht. Desertshore dürfte tatsächlich das beste Werk (nach Chelsea Girl) sein, haben die anderen doch jede ihre Macken, Unfertigkeiten oder produktionellen, experimentellen Schwächen.

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