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Loudon Wainwright III – „More Love Songs“
Rounder / Demon Records 1986
Sein Vater schrieb für das LIFE Magazine, er sah, imitierte und galt als nächster Bob Dylan, hatte einen Hit („Dead Skunk“, 6 Wochen #1 in Arkansas!!), spielte den singenden Chirurg in M*A*S*H, wurde für den Grammy nominiert, wurde gecovert von Johnny Cash („The Man Who Couldn’t Cry“ auf AMERICN RECORDS), spielte in Filmen neben Sandra Bullock („28 Days“) und hatte eine Minirolle in „The Aviator“! Nebenbei nahm Loudon der Dritte auch noch über 20 Alben auf, welche aber bis heute kaum einer kennt, geschweige den kauft. Davon ab verdanken wir ihm die ihm gewidmeten Hymnen „Bloody Mother Fucking Asshole“ (von Tochter Martha) und Sohn Rufus schönster Song „Dinner At Eight“ sowie einige Songs von Ex-Gattin Kate McGarrigle. Trotz aller Meriten ruft Loudon Wainwright selbst bei vielen Musikinteressierten nur ein Achselzucken hervor.
Dabei ist Wainwright fast allein in seinem Flur voller Wortwitz, Sarkasmus, Selbstironie und Sentiment und erinnert mit seiner Eloquenz mehr an Randy Newman oder Tom Lehrer als an die kryptischen und allegorischen Bilder eines Dylan. Seine hohe, ausdrucksstarke Stimme und seine Texte können zu Herzen gehen oder anwidern und wer Wainwright nur ein wenig kennt, weiß wie ernst der Titel dieser famosen Songsammlung zu nehmen ist. So tröstet er seine Sprösslinge in einem wunderbaren Herzschmerzsong („Your Mother And I“) über die Scheidung von seiner Frau und schreibt Jahre später einen Song über das Zusammenleben mit Tochter Martha mit dem allessagenden Titel „I’d Rather Be Lonely“.
Auf „More Love Songs“ wird Loudon produziert und begleitet von Freund Richard Thompson und illustren Gästen wie Chaim Tannenbaum, Danny Thompson oder Maria Muldaur. Das Eröffnungsstück „Hard Day On The Planet“ ist passenderweise kein Song über die Liebe, sondern ein zeitloses Stück über die Schwierigkeiten des Lebens, Krankheiten, Klimawandel, Obdachlosigkeit und Bob Geldorf. Auf diesen ungewöhnlich jazzigen, frühen TomWaits Auftakt folgen Banjo und Harmonica in dem aberwitzigen Beziehungswirrwarr „Synchronicity“ und den Zeilen:
„and it turns out that you did like men, but didn’t like their things / that hang down and all the hang-ups being with them always brings“.
In dem melancholischen „Home Stretch“ reflektiert Wainwright über die Einsamkeit des Sängerlebens, schlechte Kritiken und undankbares Publikum. Der folkige Singalong „Unhappy Anniversary“ mit seiner fröhlichen Trompete schickt ein weiteres Mal nette Grüße an die Adresse der Ex-Frau. Dem Tränenzieher „Man’s World“ folgt der Bluesschunkler „Vampire Blues“, Wainwrights humoriges Pendant zu Neil Youngs grünem Klagelied. Doch auf jedes Jucken im Zwerchfell folgt wieder ein Kloß im Hals und so lässt das sehnsüchtige Verlangen nach der Geliebten und den „Overseas Calls“ den Zuhörer wieder verbittert zurück. Drum macht sich Wainwright auf den Weg und versucht als „Expatriot“ sich eine neue Liebe zu erjodeln. Der Abschluss bildet dann das nachdenkliche „The Back Nine“, untermalt von Piano, Saxophon und Richard Thompsons sublimen Gitarrenlicks.
Wainwright gelingt es in unnachahmlicher Art seinen Zorn und seine Wut über die Gesellschaft, Systeme und Frauen, über Entfremdung, Einsamkeit fern der Heimat, sowie der Suche und Unmöglichkeit zu lieben zu vereinen und sie pointiert mit Biss, Humor und Empfindsamkeit zu betrachten. Gepaart mit seiner großartigen, variantenreichen Stimme, abwechslungsreichen Melodien und einer genialen Band schuf er so eines der schönsten und interessantesten Songwriteralben der 80er Jahre.
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and now we rise and we are everywhere