Re: Nikos Favoriten

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nikodemus

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Elvis Costello – „Blood And Chocolate“
(Warner – 1986)

Elvis Costello – die personifizierte Eule in Athen. Den kleinen Teil, der bisher noch nicht über Declan McManus geschrieben wurde, hat er in den Liner Notes zu seinen mehrmals veröffentlichten Alben im Grunde selbst geschrieben.
Die Kurzfassung: „Blood And Chocolate“ ist die Rückkehr zum alten Produzent Nick Lowe, den Attractions und zu dem Rock und der Wut der ersten Alben und war das zweite Album innerhalb eines Jahres nach der Country und Folk Hommage „King Of America“.
Der grobschlächtige, 2 Akkord- Einstieg mit „Uncomplicated“ zerstört sofort die Aura, die „King Of America“ beschworen hatte.. Dazu die passenden Zeilen:

Blood And Chocolate
I hope you’re satiesfied what you have done
You think it’s over now
But we’ve only just begun

Zuckerbrot und Peitsche. Ähnlich ätzend wie „Uncomplicated“ müssen wohl auch die Aufnahmen gewesen sein, Costello hatte Ärger mit den Attractions und das Ende schien nahe…
Nach der Ernüchterung eines fast melodiefreien Songs und nachdem alle Erwartungen auf das tiefstmögliche Niveau gesunken sind, spukt Elvis a capella die ersten Töne von „I Hope You’re Happy Now“ aus. Die Attractions poltern brutal heran und Elvis erzählt in der dritten Person von einem verlassenen und ausgelachten Mann bis er schließlich bekennt, dass er dieser Mann ist und droht

I hope that you’re happy now like you’re supposed to be
and I know that this will hurt you more than it hurts me

„Tokyo Storm Warning“ ist eine perkussive Tour de force, eine karnevalistische Bilderreise, in welcher Elvis seine Eindrücke und Erlebnisse des Tourlebens verarbeitet. Im Song reist er von Tokyo über Pompeii bis nach Paris und London, belustigt sich über den Ku Klux Klan und über japanische „Jesus-robot-toys“ und unterhält uns mit lustigen Versen wie

now dead Italien tourists bodies litter up the broadway
some people can’t be told you know they have to learn the hard way

they say gold paint on the palace gates comes from the teeths of pensioners
they’re so tired of shooting protest singers that they hardly mention us

bis alles im psychedelischen Chorus kulminiert, wenn Elvis bekennt…

what do we care if the world is a joke ….

Im zynischen “Home Is Anywhere You Hang Your Head” will man gerade mit dem Protagonisten sympathisieren, als Elvis engelsgleich singt…
he’s contemplating murder again, he must be in love.

Spätestens im Refrain, wenn Elvis von der dritten Person ins “du” wechselt und in den folgenden Zeilen beschreibt, wie sich „Mr Misery“ ein Platz sucht um sich das Gehirn wegzupusten, spür ich einen überdicken Klos im Hals.
Als wäre das nicht schon genug – „I Want You“, diese Stalkerballade, in der Elvis das Tempo drosselt um noch unheimlicher zu wirken, er röchelt und krächzt

i’m afraid I won’t know when to stop…I want you…you’ve had your fun you don’t get well no more… I want you…no-one who wants you can’t want you more….I want you…I want you…I know I’m gonna feel this way until you kill it…I want you…I want you..

Das folgende “Honey, Are You Straight Or Are You Blind” erlöst uns von dieser Spannung, die Attractions rocken sich den Arsch weg, ansonsten bleibt aber wenig von diesem doch mittelmäßigen Stück hängen.
Das poppige „Blue Chair“ thematisiert das Ende einer Affäre und Elvis Zorn weicht etwas dem Selbstmitleid. In „Battered Old Bird“ karikiert Elvis mit Humor und einer Portion Tragik die verschrobenen Mitbewohner und Vermieter des Hauses in welchem er aufgewachsen ist.
„Crimes Of Paris“ mit seinen Uuuuss und Aaaahs im Refrain und dieser sehnsüchtigen Melodie halte ich bis heute für seinen größten Popsong. Poor Napoleon“ und „Next Time Round“ sind zum Abschluss zwei catchy Poppers, die Intensität und Spannung vorangegangener Songs können sie indes nicht mehr erreichen.
Ingesamt die genialsten pissed off lyrics die man von Costello je gehört hat, voller Eifersucht, Obsession sowie einem mollbesoffenen repetitiven Hassbrief, der als Jahrhundertsong in die Geschichte eingehen wird.
In der Summe nach „My Aim Is True“ das (meiner Ansicht nach) beste Costello Album.

--

and now we rise and we are everywhere