Re: Das Lovely Day Festival

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„Lovely Days“:
Sie wollen nicht alt werden

VON THOMAS KRAMAR (Die Presse) 24.07.2006

„Lovely Days“ in St. Pölten: Ein sympathisches Festival für Dauermieter im „Teenage Wasteland“ – mit glänzenden „Who“.

„Pick up my guitar and play, just like yesterday“: Who-Chef Pete Townshend, bedeckt mit einer Mütze à la Joe Zawinul, sah vor allem um die Augen herum müder aus, als er sonst wirkte.

Erstens: Ich fühle etwas, kann es aber nicht erklären. Zweitens: Ich suche etwas, werde es aber nie finden (und es ist nicht meine Lesebrille). Drittens: Ich kann hingehen, wohin ich will, es ist (auch schon) egal.

„Can’t Explain“, „The Seeker“, „Anyway Anyhow Anywhere“: Mit einer offensiven Triade der Drei-Minuten-Orientierungslosigkeit begannen The Who ihren Auftritt, den letzten der „Lovely Days“. Dieses Tempo hätten sie nicht durchgehalten, genauso wenig wie der Großteil des Publikums bei diesem Festival, das sich doch an Leute richtet, die nicht zum ersten Mal etwas fühlen, was sie nicht erklären können.

Also gemach. Die Who haben ja nicht nur ein gutes Dutzend genialster Unruhestifter von Songs gemacht, sondern auch einige Plattenlängen voll Gesamtrock-Pathos: „Behind Blue Eyes“ etwa, das es verdient hat, von der Quengel-Core-Band Limp Bizkit nachgespielt zu werden; „Won’t Get Fooled Again“, diese Woodstock-Veteranen-Hymne aus einer Zeit, als die Veteranen noch keine 30 waren; „Baba O’Riley“, diese kräftige Beschwörung des „Teenage Wasteland“.

Ja, auch das spielten sie, und Townshend schlug die Gitarre, als müsse sie ihm und uns für ein Leben büßen. Ein Leben im Teenage Wasteland? Sicher. Und es ist und war nicht das schlimmste Leben, oder? „Ich bin nicht alt, ich bin ein Klassiker“, stand auf dem T-Shirt eines älteren Burschen, und das drückte das Paradoxon gut aus, das auf den „Lovely Days“ gefeiert wurde: Es geht noch immer um unsere Generation, ob die 20 oder 60 ist. Der berühmte Refrain „Hope I die before I get old“ ist längst in Wohlgefallen aufgelöst: Man kann mit 60, 70 sterben, ohne alt geworden zu sein. Ob es mit 80, 90 auch noch geht, wird man dann schon sehen.

Townshend, der ja kein Dummer ist, ließ „My Generation“ entsprechend gleich in drei Interpretationen spielen: original als manische Mod-Hymne, als schleppenden Ischias-Blues, als Tonikum à la „Gloria“ („It’s spelled G . . .“). Roger Daltrey war ihm wie eh und je der Kehlkopf, den er rief (mit Ausfällen, aber das zählt nicht); sein Bruder Simon half ihm rührenderweise an Gitarre und Gesang; Zak Starkey spielte das Schlagzeug, als ob er nicht Richard Starkeys, sondern Keith Moons Gene trüge.

Ein unlogischer, aber packender „Tommy“-Querschnitt („Pinball Wizard“, „Amazing Journey“, „Captain Walker“, „Sparks“, „See Me Feel Me“, „Listening To You“) beschloss ein Konzert, das, wenn die Erinnerung nicht trügt, sicher nicht schlechter war als die Wien-Konzerte 1978 und 1996, wir werden sehen, wie’s in zehn Jahren wird, Townshend sieht zwar eisgrau aus, kann aber noch ganz gut springen . . .

Zugute kam den Who, dass vor ihnen an diesem frühzeitig angebrochenen Samstagnachmittag einige Herrschaften daran erinnert hatten, dass die so genannte gute alte Rockmusik ihre Schrecken haben konnte und kann. Manfred Manns „Earth Band“ mit ihrem betulichen Orgelschwulst und den grässlichsten Bob-Dylan-Covers aller Generationen, Gary Moore, ein Gitarrenwürger par excellence, der nur vom Hals ablässt, wenn es gilt, den Blues in unbeholfenen Worten zu preisen („Hey! The blues is allright!“). Robert Plant (am Tag davor) hat sich immerhin einen halbwegs angenehmen Bariton zugelegt, den er nur verlässt, wenn es hoch hergeht: „Oohh yeah!“ usw. „Whole Lotta Love“, was für eine Quälerei!

Dagegen war der alte Rotzbub Billy Idol fast erfrischend, mit seinem aller Quasteln entkleideten Rock’n’Roll, angenehm flachem Sound und skurriler Songauswahl von Nostalgie-Schlagern wie „In The Summertime“ bis zum herzigen „Ready Steady Go“ seiner einstigen Punk-Band „Generation X“, mit den Zeilen „I’m still in love with the Beatles“ und „I’m in love with Rock’n’Roll“.

Ja, die waren nämlich gar nicht so, die Punks! (Vor allem die blondierten nicht.) So fügte sich alles harmonisch ins Woodstock-&-Söhne-&-Enkel-Bild, diverse damals wirklich Dabeigewesene (z. B. Country Joe McDonald, ungebrochen) sowieso. Anders, und zwar auf höchst elegante Weise anders waren eigentlich nur Roxy Music, Headliner am Freitag: Sie ließen wieder einmal beide Enden brennen, ohne je an Contenance zu verlieren. „Re-make/Re-model“ war scharf und gültig wie einst, beim „Song For Europe“ konnte Bryan Ferry, im vorbildlich geschnittenen Anzug (nach unten verjüngte Hosenbeine, so gehört das!) vor lauter Wehmut fast nur mehr murmeln, und zum Schluss noch das Loblied auf die Solidität, „Let’s Stick Together“: herrlicher Anti-Rock’n’Roll, zeitloses Antidot gegen Bieder-Blues-Pastillen und Hippie-Hausmittel.

Bei aller Sympathie für dieses – gut organisierte – Festival: Von diesem Gegengift werden wir noch brauchen. Schließlich wollen hier einige nicht und nicht alt werden.

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Man braucht nur ein klein bisschen Glück, dann beginnt alles wieder von vorn.