Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › Thelonious Monk › Re: Thelonious Monk
tejazzWieso ist es ein Dilemma, Musik eines Mannes zu hören, der sehr wahrscheinlich einige psychische Probleme hatte?
Zumal viele Künstler, nicht nur Musiker, zumindest etwas exaltiert waren bzw. sind. Ich denke, es ist keine Grundvoraussetzung, aber scheinbar auch nicht hinderlich. Und Kunst ist dann vielleicht ihre verständlichere Äußerung …
vorgartenich bin zwar kein sonderlicher monk-fan (für mich ist er ein ewiges, selten eingelöstes versprechen), bin aber bei solchen kontextualisierungen sehr vorsichtig. ich weiß nicht, wieviel es brauchte, um bis in die 80er hinein einen schwarzen künstler als gaga zu bezeichnen und sogar offiziell zu diagnostizieren, der bestimmte ’spielregeln‘ nicht eingehalten hat. anders gefragt: wieviel unangepasst-sein durfte man sich als afroamerikaner erlauben? und was ging sozusagen da hand in hand, künstlerischen und soziales ‚ausscheren‘? seit foucault (spätestens) wissen wir um die konstruktion von ‚verrücktheit‘. andererseits suchen wir permanent nach persönlichkeiten, die nicht so ’normal‘ sind wie wir.
Ich habe mir heute Nachmittag noch mal die Film-Doku Straight No Chaser angeschaut. Da ich dabei krankheitsbedingt in Bademantel, Pantoffeln, Schal und Wollmütze auf dem Sofa lag, muss ich Thelonious Monk in seinen letzten Lebensjahren sehr ähnlich gesehen haben. Fehlte eigentlich nur noch die Skyline von NYC im Hintergrund und die Baroness Pannonica de Koenigswarter, die mir Tee und Kekse serviert.
Die DVD hat den vermutlich blödesten aller blöden Klappentexte: „…Meilenstein des Jazzfilms. Publikum und Presse waren sich einig: „Granddaddy of cool“ Thelonious Monk ist der Größte, …“ Das ist nicht nur für sich gesehen galoppierender Blödsinn, es gibt auch den Inhalt des Filmes völlig falsch wieder.
Die Coolness, die die Figur Monk umgibt, die Verweigerung bürgerlicher „Spielregeln“, das Festhalten am eigenen Rhythmus, die souveräne Exzentrik , sowohl in seiner Musik, als auch in seinem Äußeren – die Hüte, die coolen Sonnenbrillen – all dies hippe Gebaren machen ja tatsächlich einen besonderen Reiz der Person Thelonious Monk aus. Genau die Art Persönlichkeit, „die nicht so ’normal‘ ist wie wir“ und die uns daher fasziniert. Das hat mich lange Zeit begeistert und wirkt auch heute noch, wenn auch in anderer Weise.
Wenn man aber in Straight No Chaser hört, wie Monks Manager Harry Colomby erzählt, dass Monks Cover Story für TIME fast geplatzt wäre, weil Monk während eines Treffens mit TIME auf einmal „strange behaviour“ zeigte, wenn man sieht, dass Monk sich offenbar kaum selbst die Schuhe zubinden konnte, aber seine Frau Nellie unablässig damit beschäftigt ist Monks Alltag zu organisieren, während er selbst völlig teilnahmslos herumsitzt oder -tanzt, wie sein langjähriger Partner Charlie Rouse ihm bei Proben mit einer Engelsgeduld jeden Akkord einzeln aus der Nase ziehen muss und wie Thelonious Monk Jr. schwer atmend berichtet, dass sein Vater während seiner oft tagelangen lethargischen Phasen seinen eigenen Sohn manchmal nicht erkannte und seine Familie ihn mehrfach in eine Klinik einweisen ließ, dann lässt sich das kaum mit dem etwas romantischen Bild vom schrulligen Künstler, einer „konstruierten Verrücktheit“ und schon gar nicht mit Monks afro-amerikanischer Herkunft erklären. Die Formulierung „einen an der Waffel haben“ erscheint mir in diesem Zusammenhang noch eher scherzhaft. Es gibt sogar eine Szene, in der Monk selbst sagt, dass man jeden anderen dafür in eine Zwangsjacke stecken würde. Dabei war er ja eigentlich harmlos …
Damit wird aus der Faszination der coolen Persönlichkeit Thelonious Monk und seiner Musik, die ja oft sehr eng miteinander verknüpft werden, eine etwas ambivalente Angelegenheit. Erklärt das mein „Dilemma“? Aber vielleicht wird Monk durch diese Ambivalenz sogar noch interessanter.
vorgartenich finde ihn wahnsinnig interessant, seine kompositionen gehen mir aber meistens auf die nerven, weil sie zwar skurril, aber doch auch ziemlich platt sind. von ROUND MIDNIGHT mal abgesehen. ich bekenne mich da aber auch zu bildungslücken und lasse mich gerne eines besseren belehren. .
gypsy tail windNee, also platt lass ich jetzt wirklich nicht gelten!
Klar, wenn man nicht genauer hinhört mögen manche seiner Kompositionen etwas gleichtönig klingen, aber da sind doch unglaubliche Dinge dabei… „Criss Cross“ etwa mit seiner verqueren Struktur, und neben „‚Round Midnight“ einige weitere wunderschöne Balladen wie „Pannonica“, „Reflections“ oder „Crepuscule with Nellie“… dann Kleinigkeiten (echte und vermeintliche) wie „I Mean You“ oder „Off Minor“, „Thelonious“ oder „Blue Monk“. Platt ist da wirklich nichts.
Da sind gypsy und ich uns einig! CRISS CROSS: großartig und ich möchte beide mir bekannten Aufnahmen (die von 1951 und die von 1963, wobei ich letztere bevorzuge) nicht missen. Bei CREPUSCULE WTH NELLIE halte ich die Luft an und auch hier sind beide mir bekannten Studioaufnahmen (1957 mit Coleman Hawkins und Coltrane und 1963 mit Charlie Rouse) ganz wunderbar!
--
„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)