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Berliner Zeitung, 30.08.2006
Der große Murmler
Bob Dylan hat wieder ein Album veröffentlicht – sein 41.: „Modern Times“Matti Lieske
Wenn berühmte Interpreten populärer Musik in die Jahre kommen, beginnen sie zu murmeln. Die Kritiker werten das gemeinhin als Zeichen ungeheurer Intensität und feiern die entsprechenden Platten als geniale Alterswerke. Das hat bei Johnny Cash funktioniert, bei Brian Wilson, Merle Haggard, Neil Diamond, Bruce Springsteen, und wäre Elvis noch am Leben, würde es ganz sicher auch bei ihm funktionieren. Natürlich klappt es erst recht bei Bob Dylan, der auf seiner gerade erschienenen neuen Platte „Modern Times“ murmelt, was die strapazierten Stimmbänder hergeben. Und sage keiner, das habe er immer schon getan. Stimmt nämlich nicht.
Kaum ein großer Künstler hat seine Persönlichkeit und damit auch sein Image in den letzten Jahren so radikal gewandelt wie Bob Dylan. Jahrzehntelang war er als mürrischer, unnahbarer Brummelkopf mit Cowboyhut und wunderlichen Gewohnheiten durch die Welt getrottet. Wenn er bei einem Konzert zweimal Dankeschön sagte, dann schien das für ihn eine so gewaltige Anstrengung zu sein wie für Fidel Castro eine sechs- bis achtstündige Rede. Zwischenmenschliche Kommunikation war ihm so fremd wie anderen Leuten die Essgewohnheiten der Marsianer. Das galt auch gegenüber Freunden und Kollegen. Jerry Garcia, inzwischen verstorbener Kopf der Grateful Dead, berichtete einmal amüsiert, wie Dylan vorbeikam, um die endgültige Fassung einer gemeinsamen Platte zu besprechen. Er sagte nichts, stopfte das Mastertape in einen klapprigen Kassettenrekorder, den er mitgebracht hatte, maulte nach einiger Zeit: „Stimme ist zu laut“ und ging wieder.
Von diesem Bob Dylan scheint nichts mehr übrig geblieben zu sein. Zuerst präsentierte sich der 65-Jährige gegenüber dem Regisseur Martin Scorsese für dessen Film „No Direction Home“ als charmanter, intelligenter und überaus redseliger Gesprächspartner; dann brillierte er im ersten Teil seiner Autobiografie als großartiger Erzähler, Chronist und unerschöpfliche Quelle von Anekdoten. Seit neuestem betätigt er sich in seiner Radioshow als echter Dampfplauderer, der seinen Senf zu allen möglichen Dingen gibt und nebenher wunderbare Songs aus den verschiedensten Epochen US-amerikanischer Musik spielt.
Bei so viel zur Schau gestellter Lebenslust ging ein bisschen unter, dass es in seinem eigentlichen Metier, der Musik, zuletzt leicht bergab ging. Regelmäßige Besucher seiner Auftritte im Rahmen der „Neverending“-Tour kamen nicht umhin, in den letzten Jahren einen gewissen Substanzverlust zu konstatieren. Gitarrespielen überfordert offenbar inzwischen die Finger, weshalb er fast nur noch am elektrischen Piano steht. Das hat eine gewisse Einförmigkeit der Arrangements zur Folge – man könnte auch sagen: alles klingt ziemlich gleich. Hinzu kommt der Verlust an stimmlicher Modulationsfähigkeit – man könnte auch sagen: er murmelt. Zum bevorzugten Stilmittel ist ein leichtes Heben oder Senken am Ende der jeweiligen Zeile geworden, die Bandbreite der Stimme hat gelitten.
Insofern war es ziemlich kühn, nach fünf Jahren Pause eine brandneue Platte mit zehn eigenen Songs herauszubringen. Doch Dylan entledigt sich dieser Aufgabe mit aller Routine, die er sich in 45 Jahren Musikbusiness angeeignet hat. Er macht gar nicht erst den Versuch, an die legendären Songs seiner Frühzeit anzuknüpfen, die dazu nötige Dynamik und Kraft besitzt er längst nicht mehr. Er orientiert sich aber auch nicht an dem großen Wurf, der ihm 1997 mit dem schon damals als genialem Alterswerk gefeierten „Time Out Of Mind“ gelang. Machtvolle Stücke wie „Cold Irons Bound“, „Not Dark Yet“ oder „Standing In The Doorway“ sind heute ebenfalls außerhalb seiner Reichweite. Dafür geht er den Weg weiter, den er vor fünf Jahren mit „Love and Theft“ eingeschlagen hat: Er plündert das musikalische Erbe Amerikas, eignet es sich an, unterzieht es einer Transformation, erfüllt es mit seiner Persönlichkeit und spuckt es als genuines Dylan-Werk wieder aus. Man muss schon eine echte Ikone sein, um Klassiker wie „Rollin‘ and Tumblin'“ oder „Someday Baby“, die schon Hunderte von Musikern interpretiert haben, nachzusingen und dann „All titles written by Bob Dylan“ darunter zu schreiben. Aber mit Plagiatsvorwürfen hatte er vom ersten Tag seiner Karriere zu leben, da er stets der Meinung war, wenn er ein paar Strophen dazu dichtet, dann ist es auch sein Song. Und gedichtet hat er auf „Modern Times“ wie der Teufel.
Die Methode ist nicht ganz neu. 1973 gab es mal eine obskure, aber nicht uninteressante Dylan-Veröffentlichung, die von seinen Fans und ihm selbst abgrundtief gehasst wurde. Als er seine Plattenfirma verließ, brachte diese aus Rache eine Sammlung von ausrangierten Studioaufnahmen auf den Markt, darunter mit softem Timbre dargebrachte Evergreens wie „Mr. Bojangles“ oder „Can’t Help Falling In Love“. Anfang der Neunzigerjahre interpretierte er dann auf den beiden Alben „Good As I Been To You“ und „World Gone Wrong“ traditionelles amerikanisches Liedgut, wobei er die Stücke in echte Dylan-Songs verwandelte, ohne diesmal Autorenschaft zu reklamieren. Mit „Modern Times“ geht Bob Dylan genau den umgekehrten Weg. Es sind echte Dylan-Songs, aber sie klingen nicht so, sondern eher wie Evergreens, Blues- und Folk-Klassiker. Sein Gesang ist sanft, ruhig, konturenarm – oft hört es sich an, als sollte das Ganze der Soundtrack für einen Woody-Allen-Film werden. Die Band hat wenig mit der rabiaten Horde gemein, die ihn noch vor ein paar Jahren um die Welt begleitete. Sie klingt versiert, makellos, glatt, gepflegt, jede Note sitzt am richtigen Platz, Überraschung ist tabu. Dazu rezitiert Dylan seine Strophen, die nach wie vor eine bestechende poetische Qualität besitzen und den gesamten Kosmos nordamerikanischer Liedtradition umfassen. Die von unglücklicher Liebe getriebenen Streuner, die bösen Frauen, die ins Elend getriebenen wackeren Arbeitsmänner, ungutes Essen („Ich speise schweinsäugiges Fett in einer schweinsäugigen Stadt“) und das schlechte Wetter, in welches die Protagonisten solcher Songs andauernd zu geraten scheinen. Tornados, Gewitter, Hagel, Regen, immer wieder Regen, und am Ende bricht natürlich der Deich. „Katrina“ lässt grüßen.
Es war vielleicht keine allzu gute Idee, der Deluxe-Edition von „Modern Times“ eine DVD mit vier zum Teil gar nicht so alten Aufnahmen beizulegen, in denen der Meister noch seine alte Form besitzt – allen voran das Video mit dem für den Film „Wonder Boys“ geschriebenen „Things Have Changed“, das Dylan einen Oscar bescherte. Auf der anderen Seite zeigt es jene gelassene Souveränität, die dem neuen Werk rundum anhaftet. „Modern Times“, das 41. Album von Bob Dylan, wird dereinst gewiss nicht zu seinen zehn besten gezählt werden, aber mit dem meisten, was heutzutage an populärer Musik auf den Markt kommt, kann es jederzeit mithalten.
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