Re: Bob Dylan – Modern Times

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Altes Herz bleibt immer jung

Bob Dylans neues Album heißt „Modern Times“: Fünf Jahre nach seinem letzten Meisterwerk „Love and Theft“ meldet sich der Songwriter mit einer weiteren Großtat zurück

Wien – Der Gesang hängt wie schon zuletzt auf Love And Theft von 2001 erschöpft und am Rande des technischen K. o. in den Seilen. Zwischen chronischem Raucherhusten und dem tonlosen Gekläffe eines streunenden Köters geht einem mit 65 Jahren bald einmal die Luft aus. Aber Vorsicht bei dem Kerl! Er mag alt und müde vom ewigen Leben auf der Straße sein. Der Herbst des Lebens kriecht immer öfter schaurig-klamm in die Knochen. Wie allerdings schon Thunder On The Mountain, der erste und das ganze neue Bob- Dylan-Album Modern Times programmatisch vorwegnehmende Song klarmacht, hat es der Alte noch immer faustdick hinter den Ohren.

Über einem druckvoll und kantig gespielten Rhythm-’n‘-Blues-Shuffle aus der Zeit kurz vor der Erfindung des Rock’n’Roll mag Bob Dylan in alttestamentarischen Bildern zwar seherisch über gar Schreckliches japsen und krächzen: Die „böse Welt“ nämlich werde demnächst mit Donner, Blitz und einem vom Teufel in Mississippi hochgefahrenen Wirbelsturm apokalyptisch gebeutelt werden. Der Teufel aber schläft auch an Nebenfronten nicht.

„Today’s the day…“

Soviel Zeit muss sein: Gleichzeitig sucht er unseren fahrenden Sänger während einer Fahrt zum nächsten Konzert an irgendeiner Straßenkreuzung unten im Süden heim. Während also der Donner grollt und der Mond in Flammen steht, ergreift den Sänger beim Gedanken an die aus MTV bekannte junge Soulpop-Diva Alicia Keys ein Johannistrieb, der zuletzt in dieser Dringlichkeit nur einen Günter Grass oder einen Martin Walser in aller poetischen Härte plagte: „Today’s the day, gonna grab my trombone and blow. Well, there’s hot stuff here and it’s everywhere I go.“

Alle Dylanforscher können also beruhigt sein. Auch auf seinem 44. Album kann man die Texte des Meisters noch immer im Sinne einer von Dylanologen oft nur wenig fröhlich betriebenen Wissenschaft deuten. Den Griff zum Trombone als sexuelle Metapher jetzt gleich einmal mit der Textzeile „beating on my trumpet“ von Absolutely Sweet Marie aus den 60ern kurzgeschlossen – und im Folgenden an die Mauern von Jericho geführt! Dort trifft man auf einen gewissen Gabriel. Der wiederum „blies“ 2001 in Sugar Baby, dem letzten Stück von Love And Theft kräftig „ins Horn“; was im Sinne einer unendlichen Geschichte, also im ersten Song von Modern Times seine Fortsetzung findet.

Bevor uns allen schwindlig wird: In gewisser Hinsicht sind die zehn Songs von Modern Times eine rohere, bei aller zunehmenden gesundheitlichen Gebrechlichkeit von Dylan vitalere Fortführung des hochgelobten, textlich düsteren, zart altersdepressiven Meisterwerks Love And Theft.

Der wegen schleichender Arthritis heute mehr das Klavier als seine Gitarre mit ungebrochener Lust an der Anarchie bearbeitende Dylan verwendet gemeinsam mit seiner bewährten Tourband zwar wieder einmal altbekannte Themen aus dem großen Handbuch der Blues- und Folkgeschichte. Die Songtitel sprechen Bände: Thunder On The Mountain, Spirit On The Water, Rollin‘ And Tumblin‘, Workingman’s Blues #2.

Er ordnet dies bei oberflächlichem Hören mitunter routiniert bis gelangweilt im Setzkasten- und Bausteinprinzip. Immerhin könnten lässig aus der Hüfte geschossene Verbeugungen vor John Lee Hooker im Uptempo-Boogie Someday Baby, vor Chicago-Blues-Altmeister Muddy Waters in Rollin‘ And Tumblin‘ oder der keine Rücksicht auf blaue Flecken nehmende Kniefall vor Chuck Berrys Memphis, Tennessee in The Levee’s Gonna Break darauf schließen lassen, dass Dylan mit den heutigen Zeiten bitte gar nichts mehr zu tun haben möchte. Früher. Alles besser. Heute. Schrott. Wir kennen das von Oma.

Zum Leidwesen vieler treuer Dylan-Hörer gesellt sich zum rumpelnden, sexuell ungeniert reimenden Blues und Rhythm ’n‘ Blues („I’m flat out spent, this woman she been driving me to tears. This woman’s so crazy, I swear I ain’t gonna touch another one for years!“) allerdings Problematisches. Dylan zieht sein schon auf Love and Theft wenig geschätztes Faible für Tanzkaffee- und Swingtime-Musik aus den 30ern eisern weiter durch. Beyond The Horizon etwa wird als schwer verliebt klingende Lebensweisheit zärtlich-gurrend, an Somewhere Over The Rainbow geschmiegt in den Sonnenuntergang geraunzt.

Wer mehr von diesem für Dylan ungewohnten Stoff verträgt: Der beschwipst in Richtung des mexikanischen Bierzeltklassikers Vaya Con Dios torkelnde Walzer When The Deal Goes Down deutet daraufhin, dass Dylan amourös derzeit tatsächlich heftig entflammt sein könnte: „We learn to live and then we forgive.“

Keine Sorge, auch mit 65 hat sich der ewig über die Highways streifende Kunst-Hobo seinen heiligen Zorn bewahrt. Gegen jene, die in all den „cities of plague“ hausen, in denen „Reichtum und Macht“ alles korrumpieren. Gerade in der behutsam mit Streichern veredelten, inhaltlich harten Ballade Workingman’s Blues #2 oder im neunminütigen Ain’t Talking redet sich Dylan in einen Furor wie seit Jahrzehnten nicht mehr gehört: „They say prayer has the power to heal. So praise the Lord – or pray for me!“

(Christian Schachinger/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. 8. 2006)

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