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, Rameaus Onkel
“ Michel-Paul-Guy de Chabanon, Geiger und Komponist und gleichzeitig Philosoph, bestätigt in voller Übereinstimmung mit Andre Morellet , daß Musik nicht die von unseren Sinnen wahrgenommenen Effekte nachahmt und strenggenommen auch nicht unsere Gefühle zum Ausdruck bringt. Einzig allein auf die Melodie reduziert, vermöchte die Musik Zorn oder Wut nicht wiederzugeben; in der Szene des „Achills Zorn“ erstickt Gluck die Singstimme unter sechzig Instrumenten: Der Zorn ist ein Gefühl, das nicht singt. Dennoch hat das Problem der Nachahmung Morellet beunruhigt. Er willigt ein, ihr einen Platz einzuräumen, vorausgesetzt, sie ist unvollkommen; auf paradoxe Weise rührt ebendaher ihr Vorteil vor der Natur (der in der Musik übertragene Gesang der Nachtigall gefällt mehr als seine Reproduktion mit mechanischen Mitteln).
Chabanon wundert sich: ´Warum müssen Poesie, Malerei und Bildhauerei treue Bilder geben und die Musik untreue? Wenn aber die Musik keine Nachahmung der Natur ist, was ist sie dann?´“
Andre Morellet“ Falsche Frage: Wie Sehvermögen und Geruchssinn fallen auch dem Ohr unvermittelte Genüsse zu, und deshalb gefällt die Musik unabhängig von jeder Nachahmung.“
Michel de Chabanon „Gleichwohl kommt es vor, daß die Musik dem Hörer einen Sinn bietet. Ein Phänomen, das ich, wiederum in Übereinstimmung mit Morellet, aus der Analogie zwischen diesen oder jenen unserer Gefühle und den von der Musik bewirkten Eindrücken erklärt. Auf unsere Sinne – und auf unsere Sinne allein – wirkt die Musik direkt ein. Aber in die Wonnen der Sinne mischt sich der Geist ein: in Tönen ohne bestimmte Bedeutung sucht er Beziehungen, Analogien zu verschiedenen Gegenständen, mit verschiedenen Auswirkungen auf die Natur. Schaut man sich die Stücke an, in denen die „guten“ Meister dasselbe physische Objekt haben darstellen wollen, wird man finden, daß sie immer oder beinahe immer ein ähnliches Verfahren und etwas Gemeinsames haben, sei es in der Bewegung, sei es im Rhythmus, sei es bei den Intervallen, sei es in der Tonart. Schwaches Trillern mit zwei Tönen, um das Gemurmel eines Rinnsals wiederzugeben; Rakete von aufwärts- nach abwärtsfahrenden Tönen zum Ausdruck des Blitzes; das Wehen des Windes oder Grollen des Donners; zahlreiche unisono-Bässe, die die Melodie rollen und wogen lassen, für das Meer usw.“
D´Alembert „Nicht für das Ohr im eigentlichen Sinne schildert man in der Musik, was die Augen beeindruckt: sondern für den Geist, der, zwischen diese beiden Sinnesorgane gestellt, ihre Sensationen vergleicht und kombiniert und die invarianten Beziehungen zwischen ihnen erfaßt. Diese Beziehungen haben es nicht nötig, daß ein Inhalt für sie gesucht wird, es sind Formen: Eine diatonische Folge von absteigenden Tönen schildert den Sturz der Gischt nicht besser als den jedes anderen Dinges. Will ein Musiker das Heraufdämmern des Tages andeuten, malt er nicht den Tag und die Nacht, sondern lediglich einen Kontrast: der erstbeste, den man sich vorstellen kann, wird sich durch dieselbe Musik ebensogut ausgedrückt sehen wie der von Licht und Schatten. Die Ausdrücke haben nicht an sich Gültigkeit; was zählt sind allein die Beziehungen.
Fazit: Die Musik besteht aus Tönen. Aber „ein musikalischer Ton hat keinerlei Bedeutung an sich. Jeder Ton ist nahezu richtig, er hat weder Sinn noch besondere Eigenart; und eben dadurch unterscheiden sich die Töne von den Elementen der Rede, die, in den Wörtern, den Silben, ja sogar den Buchstaben, als lang, kurz, liquide usw. charakterisiert werden können, während das C und das D der Tonleiter keinerlei Unterscheidungsmerkmale haben. Das musikalische Vergnügen hängt bei jedem seinem Wesen nach richtigen Ton von den Tönen, die ihm vorhergehen, und denen ab, die ihm folgen.“ (Michel de Chabanon)
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