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Ah Um Individualität
Es gibt wohl kaum ein größeres Lob für einem Popmusiker als die Bescheinigung, er klinge „wie sonst niemand“.
Man erwartet in der Regel, dass sich in der Musik die authentische Persönlichkeit des Künstlers wiederspiegelt. Die Popmusik hängt sozusagen einem verschärften romantischen Geniekult an, der zumeist weder thematisiert noch in Frage gestellt wird.
Das sind zwei verschiedene Punkte, denke ich, auch wenn sie vielleicht zusammenhängen: „authentischer Ausdruck“ und Unverwechselbarkeit.
Klar wird es einige geben, die „Echtheit“ hochhalten und „Ehrlichkeit“ verlangen. Andere wissen auch die Inszenierung und das Spiel mit Masken, mit dem Image zu schätzen.
Die meisten werden zustimmen, dass die Werke identifizierbar, wiedererkennbar sein sollten – Austauschbarkeit, Verwechselbarkeit sind schlecht und die bloße Nachahmung anderer ist noch keine künstlerische Leistung. Aber das heißt z.B. nicht, dass die Songs selbstgeschrieben sein müssen. Es wirkt immer etwas engstirnig, wenn jemand nur solche Künstler schätzt, die ihre eigenen Songs schreiben, oder es per se für einen Vorzug hält, dass die Songs selbstgeschrieben sind. In erster Linie kommt es darauf an, dass sie gut sind, und die Leistung eines Interpreten ist nicht geringzuschätzen (wenn man die Interpretation fremder Songs für weniger „authentisch“ hält als die eigener Songs und sie deswegen abwertet, ist das „rockistisch“, glaube ich). Der Sänger sollte sich den Song allerdings „zu eigen“ machen. Als Hörer kann man auch das Gesamtpaket schätzen, wie im Fall der Motown-Singles, die heute als Klassiker gelten: ein guter Song von Holland-Dozier-Holland (beispielsweise), das gekonnte Spiel der Motown-Hausband und ein Interpret, der überzeugend singt und wiedererkennbar ist. Die Erzeugnisse von kooperativer Arbeit dieser Art wird man heute als Pophörer nicht geringer schätzen als die Werke von Bands, die ihre Songs selbst schreiben und sie selbst einspielen. (Obwohl es diese Position noch gibt; sie hat sich wohl im Gefolge der Beatles und Stones vorübergehend ausgebreitet.)
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To Hell with Poverty