Re: Herbert Grönemeyer

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Der Artikel der Süddeutschen Zeitung
http://www.sueddeutsche.de/panorama/artikel/725/73652/

Herbert Grönemeyer wird 50

Der Menschenversteher

Er hat nicht die beste Stimme, nicht die deutlichste Aussprache, nicht das schönste Gesicht. Und doch ist Herbert Grönemeyer der erfolgreichste deutsche Musiker aller Zeiten.
Von Jürgen Schmieder
Es gibt eine Szene aus „Wetten, dass…???“, die das Phänomen Herbert Grönemeyer deutlich macht: Auf der Couch sitzt Justin Timberlake, der erfolgreichste Musiker der Welt zu dieser Zeit. Neben ihm ein blonder Herr mittleren Alters mit biederem Gesichtsausdruck, heiserer Stimme und schnoddriger Aussprache. Ein Büroangestellter, der ein Preisausschreiben gewonnen hat, mag sich Timberlake gedacht haben. Es war Herbert Grönemeyer.

Dann lässt Gottschalk die Aufzeichnung eines Live-Konzertes einspielen. Mehr als 80.000 Menschen jubeln mit Wunderkerzen in der Hand und brüllen sich zu jedem Song die Seele aus dem Leib. Auf der Bühne steht eben jener Grönemeyer. Als Timberlake diese Aufnahmen sieht, fällt ihm der Unterkiefer runter bis zum Hals. Er muss sich plagen, tanzen, singen, Choreografien einstudieren – und hat dennoch Probleme, Stadien dieser Größe zu füllen.
Grönemeyer nicht. Er ist der erfolgreichste deutsche Musiker. Westernhagen? Schon lange nichts mehr gehört. Xavier Naidoo? Noch nicht so weit. Tobias Regner, die aktuelle Nummer eins in den Charts? Reden wir nicht drüber. Nur Grönemeyer hat es drauf. Bei den beeindruckendsten Auftritten in der Geschichte von Gottschalks Sendung – und er hatte in den vergangenen 25 Jahren jeden Weltstar – lag Grönemeyer mit „Der Weg“ auf Platz zwei. Er musste sich nur Michael Jacksons „Earth Song“ beugen. Madonna, Robbie Williams, Take That – alle dahinter.

Was macht den Erfolg von „Herbie“ aus? Der Mann hat nicht die schönste Stimme, um es einmal freundlich auszudrücken. Er würde bei „Deutschland sucht den Superstar“ nicht mal die zweite Runde erreichen. Dieter Bohlen würde ihn mit üblen Sprüchen der Marke „Du klingst, als hättest Du einen Reißnagel verschluckt“ eindecken.

Auch seine Aussprache ist eher undeutlich: Als er kürzlich seinen neuen WM-Song im Radio vorstellte, waren sich die Hörer uneinig, ob sie ihn gut oder schlecht finden sollten. „Das kann ich schlecht beurteilen“, sagte ein Hörer bei Antenne Bayern. „Ich verstehe ja nicht, wovon er singt.“

Grönemeyer ist ein Charakterkopf, keine Frage. Er hat 1980 in Wolfgang Petersens „Das Boot“ eine herausragende Leistung als Kriegsberichterstatter gegeben. Aber reicht das, um dauerhaft Erfolg zu haben? Er ist auch nicht gerade bekannt für seine aufwändigen Bühnenshows oder spektakulären Tanzeinlagen. Oft sitzt er nur am Piano oder steht einsam am Mikrofon, wenn er seine Lieder vorträgt.

Es muss also etwas anderes sein, das Grönemeyer zum erfolgreichsten deutschen Musiker der letzten 25 Jahre werden ließ. Er selbst sagt: „Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Ich mache die Musik, die mir gefällt und kann dabei eine richtige Zicke sein.“

Diese Konsequenz und Kompromisslosigkeit könnte ein Schlüssel zum Erfolg sein. Er lässt sich nicht beirren von Produzenten, Marktforschern und Besserwissern. Er vertraut auf sein Können – und auf seine Fähigkeit, sich weiterzuentwickeln.

Dies ist eine zweite Stärke Grönemeyers: Er hat sich nie auf dem Erfolg ausgeruht oder auf eine Musikrichtung beharrt. Schwungvoll besang er seine Heimatstadt Bochum, ehe er in den 90er Jahren sogar Techno-Versionen seiner Songs aufnahm. Im neuen Jahrtausend dann der gefühlvolle musikalische Abschied von geliebten Personen. Grönemeyer sang, wie er sich fühlte. Das macht ihn authentisch – und erfolgreich.

Bei aller Entwicklung bleibt er aber seinem Stil treu. Nie hat er versucht, eine Bühnenshow zu inszenieren, nie durch Skandale eine Schlagzeile in der Bild erwirkt. Er ließ die Menschen nur so weit zum privaten Grönemeyer vordringen, so weit er es wollte. So bewahrte er sich eine gewisse Privatsphäre, den Fans aber auch ein kleines Geheimnis.

Grönemeyer versteht es musikalisch auch, den Nerv seiner Fans zu treffen. Die Liedtexte – auch wenn sie aus seinem Mund oft nur schwer zu entziffern sind – zeugen oberflächlich von Naivität, als würde ein Kind einen Blick auf die Welt werfen. Dennoch aber steckt in ihnen eine Tiefe, die selbst Xavier Naidoo nicht erreicht. Das lieben die Fans: schwierige Themen einfach dargestellt, mit eingänglichen Klängen untermalt.

Grönemeyer ist ein Menschenversteher. Er hat sich vor Jahren bereits selbst gefunden und weiß seitdem auch, was die Menschen um ihn herum bewegt, was sie besorgt. Und darüber singt er. Und die Menschen hören ihm zu. Seit mehr als 25 Jahren.

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http://www.rp-online.de/public/article/magazin/musik/news/326506
http://www.ard.de/boulevard/star-storys/-/id=7680/nid=7680/did=411148/ax484q/

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Man braucht nur ein klein bisschen Glück, dann beginnt alles wieder von vorn.