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Ozark Henry · The Last Warm Solitude
Double T (1998)
Die Belgier sind schon ein merkwürdiges Völkchen: So lustig wie ihr wahres Sexleben laut Jan Bucquoy ist, so skurril sind auch ihre musikalischen Bestrebungen. Einige kennen dEUS, Hooverphonic, K’s Choice, Soulwax und Zita Swoon. Kaum einer kann Jacques Brel hier richtig verorten und Arid oder Ozark Henry hat naturgemäß niemand je vernommen.
Dabei wurde der Erstling „I’m Seeking Something That Has Already Found Me“ aus dem Jahr 1996 von David Bowie als Debutalbum des Jahres ausgelobt. Der Nachfolger stand zwei Jahre später in den Plattenläden: „The Last Warm Solitude“. Hinter dem obskuren Bandnamen versteckt sich der Sänger und Songwriter Piet Goddaer, der nahezu das ganze Album im Alleingang eingespielt und produziert hat. Die Instrumentierung liest sich dann dementsprechend auch „vocals, sequencing and programming“. Eingestreut werden noch Piano und diverse Streicher. Trotz gelegentlicher Breakbeats („Inhaling“) klingt „The Last Warm Solitude“ nicht wie Bowies Versuch mit „Earthling“ in moderner Musik Fuß zu fassen, sondern nach wunderbar zeitloser, intelligenter und melancholischer Popmusik. Das mag zum einen an Piet Goddaers ungewöhnlicher Stimme liegen, die zwar nasal klingt, aber nicht verschnupft, kehlig, aber nicht verkratzt und auch mal hoch ins Falsett abdriftet (glücklicherweise noch nicht so häufig wie auf dem aktuellen Album „The Soft Machine“), aber niemals verkopft klingt. Ähnlich markant und wieder erkennbar wie die Stimme der Decemberists Colin Meloy.
Zum anderen gelingt Goddaer der Spagat, dreizehn Stücke zu schreiben, die über die Spieldauer von knapp einer Stunde niemals langweilen, sondern im Gegenteil einfalls- und abwechslungsreich klingen. Da schmuggelt sich mal ein Reggaeelement ein („Hurray Goodbye“), mal verirrt sich eine Trompete („Ocean“) und ganz häufig sind es kleinere Geräusche, die aufhorchen lassen und ob ihrer selbstverständlich eingestreuten Leichtigkeit überraschen. Mit großem Gestus kündigt sich „Summer Junkie“ an und entpuppt sich als schräges Arrangement und direkt im Anschluss bei „Elvis Is Dead“ versucht sich eine Big Band ins Rampenlicht und eine singende Säge vor die Beats zu drängeln. Die Kunst besteht in den reibungslosen Übergängen der einzelnen Songs: ein Zahnrad greift ins andere, so dass ein Höchstmaß an Harmonie entsteht. Goddaers Texte sind mal herrlich humorig („Elvis is dead, whose next? Whose known to be quite and groovy? To be fat and groovy?”), mal rätselhaft und stipe-esk (“I walked backwards inside a blue eye, dressed like a postman, dressed like a meal”) oder aber mysteriös wie die im ersten Stück eingesungenen Primzahlen. Das Album schließt mit dem opulenten „Pilgrim“, das noch einmal den gesampelten Backgroundgesang von Ghalia Benali (aus dem Song „The Hole Is The Whole“) aufgreift und auch noch mit Sprechgesanganleihen aufwartet. Auch wenn „The Last Warm Solitude“ zum Ende hin etwas weniger überzeugendere Songs bietet, überwiegen die Stücke mit melancholischer Sogwirkung. Ein bewundernswerter Zweitling.
Anmerkungen:
Die in Deutschland ein Jahr später erschienene Version des Albums wurde noch um drei Songs aufgestockt: „Hope Is A Dope“, „I Ray“ und „Great“ an. Das nachfolgende „Birthmarks“ kann sich m.E. noch mit „The Last Warm Solitude“ messen, aber weder „The Sailor Not The Sea“ noch das just erschienen „The Soft Machine“ können den Status halten. Letzteres dürfte aber Freunden von Coldplay durchaus gefallen.
Links: http://www.ozarkhenry.com/
http://www.myspace.com/ozarkhenry
Rank:
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