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(Nachgereicht wie versprochen)
Herta Müller ∙ Atemschaukel
Stets wiederkehrende Fragen nach der Verleihung des Literaturnobelpreises sind: Wer ist das? Ist die Auszeichnung für ein oder für das gesamte Werk? Ist der Autor gut? Als im vergangenen Jahr die Kommission Herta Müller aus dem Hut zauberte, war es nicht anders. Einigen wenigen war die gebürtige Rumänin ein Begriff. Kurz vor der Bekanntgabe war ihr jüngster Roman „Atemschaukel“ erschienen.
1944 kapitulierte Rumänien und verbündete sich mit Russland gegen Hitlers Deutsches Reich. Ein Jahr später forderte Stalin für den „Wiederaufbau“ der Sowjetunion, dass alle in Rumänien lebenden Deutschen ausgeliefert würden.
Leo Auberg heißt die an Oskar Pastior orientierte Hauptfigur. Auch der rumänische Lyriker wurde als 17-Jähriger deportiert und musste als Zwangsarbeiter um sein Leben im Lager kämpfen.
Eindringlich und mit großer sprachlicher Intensität zeigt Herta Müller die fünf Jahre Kriegsgefangenschaft im ukrainischen Lager Nowo-Gorlowka.
Gerade die lyrische Sprache ist es, die die Ausweglosigkeit, Krankheit und den Willen zu überleben so plastisch darstellt, wie es kein Spielfilm jemals vermag. Bilder, die im Kopf des Lesers entstehen und sich dort einbrennen. Müller gelingt die Kunst, eine Sprache für etwas zu finden, das eigentlich unbeschreiblich ist: Poetische Worte und Motivik, die den Leser sprachlos und bewundernd zurücklassen. Dabei verdeutlichen doppeldeutige Begriffe wie „Atemschaukel“, „Herzschaufel“ und insbesondere der „Hungerengel“ den Arbeitsalltag der Häftlinge.
Herta Müller hat die Auszeichnung für ihr gesamtes Werk bekommen. Und was die eingangs aufgeworfene Frage nach der Qualität angeht, ist allein „Atemschaukel“ mindestens einen Literaturnobelpreis wert.
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