Re: Birdseys Rezensionen

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dominick-birdsey
Birdcore

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Ferdinand von Schirach ∙ Verbrechen

Nach 40 Jahren Ehe zerlegt ein Arzt seine Frau mit einer Axt. Das Verschwinden einer alten japanischen Teeschale führt zu einem Massaker in Hamburgs Unterwelt. Ein verwirrter Schafsmörder sieht grün, und ein dicker Politiker kommt bei einer Prostituierten ums Leben. Ein Geschwistermord, ein Bankraub aus Liebe und zwei Neonazis, die an den Falschen geraten: Das Debüt von Ferdinand von Schirach heißt nicht umsonst schlicht „Verbrechen“.

In elf Kurzgeschichten erzählt der gelernte Anwalt und Strafverteidiger von wahren Fällen. Natürlich von spektakulären, keinen alltäglichen. Dabei spielt auch das Milieu keine Rolle: Vom Arbeitslosen bis zum wirtschaftlichen Berater der Regierung ist das gesamte Spektrum menschlichen Seins vertreten. Der Reiz der Erzählungen liegt im Kokettieren mit dem Skurrilen und der Realität. Die Geschichten sollen sich tatsächlich so zugetragen haben.

Schirach gestaltet den Aufbau der Verbrechergeschichten simpel und spannend. Erst wird der Fall kurz dargestellt, bevor er sich über die handelnden Personen langsam der Lösung nähert. Vor allem aber ist es der Sprache des Autors zu verdanken, dass die Erzählungen unterhaltsam geraten. Von Schirachs Sprache ist konzis und fernab der Beamtensprache, die er in den Akten der Kriminalfälle vorgefunden haben dürfte. Simpel und präzise werden die Figuren charakterisiert. Keine überflüssigen Ausschweifungen, die den Lesefluss stören und die Geschichten unnötig in die Länge ziehen.

Leider sind nicht alle Erzählungen von gleicher Intensität. „Summertime“ zum Beispiel ist wie eine Kriminalstory in einer Illustrierten, bei der die Lösung seitenver-kehrt und kursiv am Rand steht oder spätestens am Ende des Hefts nachzulesen ist. Langweilig. Mitunter nervt auch das Besserwisserische, das dem Leser eine Überheblichkeit des Autors vermittelt, die er aber gar nicht nötig hätte.

Gleichsam verhält es sich mit der Unvoreingenommenheit für das gesamte Figurenpersonal, denn ob „der Anwalt glaubt, dass sein Mandant unschuldig ist, spielt dabei keine Rolle“.

Dem Enkel des Reichsjugendführers Baldur von Schirach ist dennoch eine kurz-weilige Lektüre gelungen. Keine hohe Prosa, dafür spannende Unterhaltungsliteratur.

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