Re: Birdseys Rezensionen

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Birdcore

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Taumelnd wie eine Wespe
Wilhelm Genazino: Das Glück in glücksfernen Zeiten. Hanser, 2009, 160 Seiten, 17,90 Euro

Gerhard Warlich ist 41 Jahre alt. Er hat Philosophie studiert. Etwas antriebsarm arbeitet er als Organisationsleiter einer Großwäscherei und gibt sich damit zufrieden. Als „stiller Kommunikator“ lebt er in den Tag und träumt davon, ein Konzeptkünstler zu sein.

Trotz seiner Freundin Traudel, der bodenständigen Leiterin einer Bankfiliale, beschleicht Warlich das Gefühl, der Einzige zu sein, der auf sich Rücksicht nimmt. Und obwohl er „nicht zu zweit allein sein“ will, bringt er nichts in die Beziehung ein. Und so gerät sein Leben komplett aus den Fugen, als Traudel ihm erklärt, dass es an der Zeit sei, langsam Kinder zu bekommen.

Wilhelm Genazino erzählt den schleichenden Prozess des Scheiterns anhand kleiner Skurrilitäten. Seiner tragischen Figur nähert er sich leise und lakonisch. Genazinos Sprache ist unaufgeregt und unprätentiös, dafür pointiert und präzise.

Wenn Warlich den taumelnden Flug eine Wespe beobachtet und darin ein vorweggenommenes Bild seiner Zukunft sieht, dann ist er ganz der pessimistische Phänomenologe, den alle Protagonisten in Genazinos Romanen verkörpern: Aus alltäglichen Erscheinungen ziehen sie ihren Erkenntnisgewinn. Nicht umsonst ließ der Autor seinen Helden diesmal über Heidegger promovieren.

Warlich ist ein Wiedergänger. Er ist ein „Beinahekünstler“ wie der Held der gleichnamigen Romantrilogie Abschaffel, dessen Tagträume die Realität verdrängen. Man ertappt ihn wie den freischaffenden Apolyptiker in „Die Liebesblödigkeit“ in Gedanken an die Eltern und bei Rückblicken auf seine Kindheit. Seine Wunschvorstellung, einmal eine „Schule der Besänftigung“ zu eröffnen, reiht sich in Genazinos absurde Berufsbezeichnungen ein.

Scheinbar nichts Neues im Mikrokosmos des Büchner-Preisträgers? Sicher: Die Balance von dezenter Tragik und feiner Komik ist wie immer austariert. Während aber noch im letzten Roman „Mittelmäßiges Heimweh“ die Surrealität das Geschehen betonte, vermengen sich das Reale und das Surreale aufgrund der Grenzüberschreitungen des Ich-Erzählers. Warlich gelingt es nicht mehr, sich den Malaisen des Alltags anzupassen.

Er schaut zu, wie seine Hose auf dem Balkon verwittert, und begrüßt eine alte Freundin mit einer Brotscheibe beim Handschlag. „Übergangspeinlichkeit“ oder „Peinlichkeitsverdichtung“ nennt das der Autor. Oder neudeutsch: Fremdschämen. Und was bei Sitcoms wie „Stromberg“ funktioniert, gelingt auf hohem literarischem Niveau auch dem „Glück in glücksfernen Zeiten“. Lesenswert.

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