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Philip Roth ⋅ Empörung
Anfangs führt der Autor seine Leser in die Irre. Dann lässt er sie knapp 200 Seiten lang zappeln. Philip Roth bedient sich bei Thornton Wilders „Unsere kleine Stadt“: Er lässt seinen Ich-Erzähler zwar nicht aus der Perspektive eines Toten berichten, aber aus der eines jungen Studenten, der unter Morphium im Lazarett liegt.
Der Korea-Krieg geht in sein zweites Jahr, als der jüdische Student Marcus Messner sein Studium im entlegenen Ohio aufnimmt. Messner ist ehrgeizig, seine erste sexuelle Erfahrung verwirrt ihn, er legt sich mit seinen Zimmergenossen an. Als Einzelkämpfer gegen die Normen des Colleges lebt er mit der Angst, von der Hochschule zu fliegen und in den Koreakrieg eingezogen zu werden.
Nachdem seine letzten Romane vom Altern und den damit einhergehenden Problemen handelten, kehrt Roth zurück zu den Themen Kindheit und Krieg. Roth hält Amerika den Spiegel vor: Messner ist dabei pars pro toto der amerikanischen Gesellschaft. Trotz der Einbettung in die 50er Jahre ist der Roman Kritik an der repressiven Politik des George W. Bush. Geschichte wiederholt sich.
Kaum einem anderen Autor gelingt es, auf wenigen Seiten so viele Themen zu verdichten und mit einem doppelten Boden zu versehen. Bereits der Titel deutet es an: Er vereint sowohl die persönliche Entwürdigung des Helden als auch die Entrüstung der Gesellschaft gegenüber der Kriegs-Heuchelei. Leider trübt die Rede des College-Direktors Lentz wie einst die Friedensrede des jüdischen Friseurs am Ende von Chaplins „Der große Dikator“ den Gesamteindruck: Auch ohne diesen moralinsaueren Holzhammer steht die Geschichte für sich. Dennoch ist Philip Roth wieder ein zeitloses Meisterwerk gelungen.
Rezension wie immer auch hier.
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