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Der Weltensammler |Ilija Trojanow
(Hanser. 2006)
„Sie mögen ungewöhnliche Worte? Sie müssen Sanskrit lernen. Die Welt ist erschaffen aus den einzelnen Silben dieser Sprache. Alles stammt von Sanskrit ab, nehmen Sie das Wort Elefant, aus Sanskrit Pilu, wo besteht denn die Ähnlichkeit, werden Sie fragen, folgen Sie mir, nach Iran, dort wurde daraus Pil, weil die Perser kurze Endvokale ignorierten; im Arabischen wurde aus dem Wort Pil ein Fil, denn das Arabische kennt kein P, wie Sie bestimmt wissen, und die Griechen, die hängten gerne ein –as an alle arabischen Begriffe, gekoppelt mit einer Konsonantenverschiebung haben wir schon ein elephas, und von dem ist es nur noch ein etymologischer Katzensprung zum Elefanten, wie Sie ihn kennen.“
„Ein packender Abenteuerroman“ wirbt der Klappentext, was ebenso einen trivialen Beigeschmack hinterlässt wie die Umschreibung „historischer Roman“. Auch wenn beides zutrifft, ist Ilija Trojanows „Der Weltensammler“ weit mehr als das: nämlich großartige Literatur. Eingespannt in den Rahmen des Todes Sir Richard (Francis) Burtons, werden dessen Entdeckungsreisen im Zeitalter des Kolonialismus in Indien, Arabien und Ostafrika dargelegt (dazu sei die Edition Erdmann empfohlen, die neben anderen Reiseberichten auch den von Richard Francis Burton verlegt: Richard Francis Burton: Persönlicher Bericht einer Pilgerreise nach Mekka und Medina 1853. Edition Erdmann, Lenningen 2005. 356 Seiten.)
Die Kunst Trojanows besteht darin, dass er größtenteils auf eine Chronologie und eine stringente Erzählerperspektive. Der Autor selbst ist auf den Spuren Burtons nachgefahren (davon zeugt auch sein Bericht Ilija Trojanow: Zu den heiligen Quellen des Islam. Als Pilger nach Mekka und Medina. Piper Verlag GmbH. München 2004. 172 Seiten) um sich polyperspektivisch seinem Protagonisten zu nähern. Burton ist ein Phänomen, ein Chamäleon, ein Gestaltenwandler, der sich in der jeweiligen Landestracht kleidet und die jeweilige Landessprache versucht so gut es geht zu lernen.
So erzählt Burtons ehemaliger Diener Naukaram, wie sein Herr als Mirza Abdullah verkleidet in Gefangenschaft gerät und selbst zunächst unter Folter nicht bereit ist, seine Rolle aufzugeben, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, sich als englischer Offizier zu erkennen zu geben. Wie es ihm gelingen konnte, als Pilger nach Mekka zu gelangen, wird wie ein Theaterstück inszeniert. Burton ist sowohl Arzt in Ägypten als auch Anführer einer Afrikareise, zur Entdeckung der Quellen des Nils.
Dabei läuft Trojanow niemals Gefahr zu langweilen. Durchaus gelingen ihm wunderbare Szenen mit Humor, wenn z.B. ein Ölsack mit seinen Aufzeichnungen und Notizbüchern ausgerechnet in die Hände einer Horde Affen gerät. Auch erotische Szenen gelingen dem Autor meisterhaft: erfährt man doch sogar, dass Burton in England das Kamasutra übersetzt und verlegt hat. Das Erstaunlichste jedoch ist die Aktualität, die der Roman aufweist. Eine Aussage wie
[INDENT][…] Er sagte, dass es niemand mit unserem Glauben aufnehmen könne, aber leider hätten die Farandjah [die Franken, womit alle Westeuropäer gemeint sind – C.V.] starke Waffen entwickelt, als Entschädigung für ihren schwachen Glauben, und wenn wir das Schlachtfeld siegreich verlassen wollten, müssten wir soviel wie nur möglich über diese Waffen lernen, in ihren Besitz gelangen und sie eines Tages selber herstellen. Dann – im Glauben stark und bestens ausgerüstet – wären wir unschlagbar.
ist geradezu ein modernes politisches Statement. Trojanow gelingt mit „Der Weltensammler“ ein vielschichtiges und dabei sehr unterhaltsames Werk, das zu den besten Büchern dieses Jahres gezählt werden darf.
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