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Das Feuilleton der FAZ zum BAP-Konzert in Köln:
Die Domglocken läuten seine Wiederkehr ein
08.05.2012 · Von den Folgen eines Schlaganfalls genesen, steht Wolfgang Niedecken endlich wieder mit BAP auf der Bühne und straft in Köln die Kritiker Lügen. Eine Huldigung.
Natürlich laufen vor dem Konzert über die Hallenlautsprecher die Kinks. Während des scheppernden Travestie-Schwofs „Lola“ wird die Lautstärke langsam höher gedreht, bei „Death Of A Clown“ klatscht bereits die ganze Halle mit. Vor der Bühne recken etliche FC-Fans in trotziger Tracht ihre Schals in die Höhe, während oben im VIP-Bereich Bürgermeister Roters noch den optimalen Platz sucht. Um zehn nach acht betreten dann Wolfgang Niedecken und seine Band zu schwerem Glockengeläut die Bühne. „Hell’s Bells“? Mitnichten! Es sind natürlich – bei allem Respekt, womöglich gar bei aller Sympathie für den Teufel – die Domglocken, die hier die heißersehnte Rückkehr Niedeckens einläuten.
Wenn man den Blick unscharf stellt, könnte man meinen, man befände sich im Jahr 1982. Wolfgang Niedecken, 61, trägt bei seinem ersten Köln-Konzert nach der Genesung von einem Schlaganfall im vergangenen Herbst eine ähnliche Jeans-Kombination wie bei jenem Rockpalast-Auftritt vor dreißig Jahren auf der Loreley, der den Durchbruch von BAP besiegelte. Nach dem europaweit übertragenen Auftritt belegte die Band mit zwei Alben gleichzeitig Platz eins und zwei der Charts. Es folgten ausverkaufte Ochsentouren durch die Kohl-Republik, bei denen die Männer aus der Kölner Südstadt mit allen Unsitten des zeitgenössischen Musikbetriebs brachen. Man gab sich nahbar, neigte auf der Bühne zur Verausgabung und kombinierte Rockmusik klassischer Prägung mit Texten, wie man sie in dieser Aufgeladenheit in Deutschland so nicht kannte. Und auch wenn nicht alle, die damals fast jedes Wort mitsangen, Niedeckens wortpralle, bildreiche Slang-Texte verstanden, war doch für jeden zu spüren, dass er es ernst meinte.
Persönlich und allgemeingültig
Man hat den Erinnerungskünstler und Detailklauber Niedecken später oft für diese seine Ernsthaftigkeit belächelt und dabei völlig seinen Humor übersehen. Auch für seine Auftritte in Talkshows wurde er geschmäht – dabei erscheinen diese Auftritte letztlich nur als ein weiterer Ausdruck einer Besessenheit, die ebenso viel Out- wie Input verlangt.
Nach dem zweiten Stück, „Et Levve is en Autobahn“, spricht Niedecken – neuerdings mit Outlaw-Bart, der ihm etwas entschieden Haudegenhaftes verleiht – seine Erkrankung direkt an, in deren Folge damals die bevorstehende Tournee abgesagt wurde. Es tue ihm leid, dass er damals etlichen Leuten den Abend verdorben habe. Dann dankt er seinem Arzt, der an diesem Abend auch im Saal sei – großer Jubel. Die Damen von der Reha-Klinik, fügt er lakonisch hinzu, kämen dann morgen zum zweiten Köln-Konzert vorbei.
Knapp drei Stunden stehen BAP an diesem Abend auf der Bühne. Am besten sind sie immer dann, wenn sie dem schweren Verzerrer-Rock entsagen und Luft in ihre Songs lassen: wie im schönen „Rita, mir zwei“ oder in „Verjess Babylon“, das Dylans „Desire“-Phase belehnt. Anderswo tönt es, als hätten sich Tom Petty und Bruce Springsteen zu einer romantischen Autofahrt verabredet. Zu etwas Besonderem wird diese Musik freilich erst durch Niedeckens Texte. Gerade „Verdamp lang her“, dieses todtraurige Partystück, das nie eines sein wollte, ist ein perfektes Beispiel: Die Art, wie Niedecken hier Gespräche mit seinem verstorbenen Vater verarbeitet, ist so persönlich, dass der Song gerade dadurch allgemeingültig wird.
Jünger als seine Kritiker
Niedecken versteht es meisterhaft, das Kleine groß zu machen. Wie in seiner Arbeit als bildender Künstler, wo er häufig Fundstücke mit Erinnerungskitsch kombiniert und zu altarartigen Arbeiten verdichtet, sind auch seine Songs voller Details, die jeden anrühren müssen, der zur Empathie fähig ist.
Er könnte angestrengt das Offensichtliche vermeiden: seine Liebe zu Köln und zu Bob Dylan etwa. Er würde sich um einiges weniger angreifbar machen. Man kann froh sein, dass er es nicht tut. Am Schluss spielen BAP ihre Version von Dylans „Forever Young“, und wieder einmal wird klar, warum Wolfgang Niedecken so viel jünger ist als viele seiner Kritiker: weil es ihm nie peinlich war, offen zuzugeben, wie viel ihm der ganze Quatsch mit dem Rock’n’Roll wirklich bedeutet. Man muss den Blick gar nicht unscharf stellen: Der große Volkssänger Wolfgang Niedecken verdient es, dass man genau hinsieht. Und natürlich: -hört.