Re: The Sound of German HipHop

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cassavetes

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Marcus Staiger vor einem Monat in seinem MySpace-Blog:

Das Ende der Musikindustrie – gar nicht so schlimm!

Während also heute Abend die Hip Hop Elite Deutschlands auf RTL2 einem unbedarften jungen Mann aus Bayern das Rappen und das Lebensgefühl eines Hip Hoppers beibringen möchte (Der Bluff), sitze ich hier und denke darüber nach, was ich gehört habe, als ich aus meinem Urlaub wieder nach Hause gekommen bin.

Zuerst einmal: Manuellsen hört auf. Das ist tragisch. Viele von Euch werden vielleicht noch nie von dem sympathischen Riesen aus dem Pott gehört haben (zu Recht), auch wenn er sich selbst wahrscheinlich immer als Star sah und wohl auch ein wenig unter Realitätsverschiebung litt.
In einer, sagen wir mal sehr bewegenden Ansprache erklärt er der Welt-HipHop- Bevölkerung, also uns, dass es ihm jetzt reicht und er die Schnauze voll hat von uns und dass dieses ganze Hip Hop Ding seinen Kopf gefickt hat und wir persönlich, also Du und ich, also WIR daran schuld sind. Und zwar ausschließlich WIR. Und natürlich noch Samy Deluxe, bei dem Manuellsen noch bis vor kurzem gesignt war und der heute Abend den RTL2 Zuschauern, die Rap-Welt erklärt, die er laut Manuellsen aber gar nicht versteht und vom Business noch viel weniger und überhaupt, was ist das für eine Frechheit, einen Künstler unter Vertrag zu nehmen, seine Platte zu veröffentlichen und dann nicht dafür zu sorgen, dass diese auch noch 100.000 Einheiten verkauft?
Ok, was war passiert? Manuellsen war bei Deluxe Records unter Vertrag und brachte eine Platte raus. Diese Platte ist gefloppt und Samy hat Schuld daran und dann ist auch noch die Frau weg von Manuellsen, das ist Valezka, und vielleicht hat auch daran Samy Schuld oder WIR, auf jeden Fall könnte man Valezka wiederum schon aus einem Video mit Eko Fresh kennen. Das Video hieß damals L.O.V.E. was so viel wie Liebe bedeutet, was wiederum bedeutet, dass Valezka auch schon mal einen anderen Freund aus dem Showgeschäft hatte, vor Manuellsen. Jetzt müssen aber schwerwiegende Dinge im Hause Manuellsen/Valezka vorgegangen sein, denn die Hälfte der gut 14minütigen Ansprache richtet sich an die Ex, mit Schwüren, dass er alle anderen töten würde und dass er seine gesamte Karriere für sie an den Nagel hängt. Außerdem und da sind wir jetzt beim eigentlichen Thema, außerdem würde er, Manuellsen, natürlich scheißen auf die ganzen myspace-Huren, die sein Leben gefickt haben (und wahrscheinlich nicht nur das) und dass sie ihm nichts, aber auch gar NICHTS bedeuten würden. Na klar. Ungefähr 5 Minuten zuvor bedankt sich Manuellsen allerdings dann wiederum bei seinen Fans, die immer einen Platz in seinem Herzen haben werden, „besonders die weiblichen. Ihr wisst, was ich mein. Höhö.“

Das ganze spitzt sich dann zu und eigentlich erwartet man, dass er sich mit einem Messer die Arme aufschneidet und ins Mikrofon brüllt „siehst du Valezka. Das ist mein Blut. Jetzt hast du es endlich geschafft“ und eigentlich möchte man den Jungen Ohrfeigen, wenn er nicht so groß wäre und ihm sagen: „werd mal erwachsen. Das ist dein Leben. Du hast es gefickt und wir stehen nur daneben und gucken es uns an.“ – Aber bin ich sein Vater?

Nichtsdestotrotz hat der selbsternannte Pottweiler sein letztes Album ja auch „Das ist meine Welt und ihr lebt nur darin“ genannt, was jetzt natürlich die philosophische Frage aufwirft… sagen wir mal so. Rein hypothetisch könnte es ja sein. Rein hypothetisch könnte es ja sein, dass wir alle nur das Produkt eines Traums von Manuellsen sind. Was passiert, wenn er nun zu träumen aufhört? Natürlich ist das nicht realistisch. Aber ich mag den Gedanken.

Ok alles in allem, nicht falsch verstehen. Ich mag Manuell sehr gerne. Er ist wirklich ein sehr, sehr lustiger Typ, der mit allen möglichen Leuten aufgewachsen ist und zum Beispiel recht passabel türkisch spricht, was in diversen Restaurants schon zu lustigen Situationen geführt hat, denn Türken halten sich mit ihrem Rassismus gegenüber Schwarzen ja auch nicht unbedingt zurück. Dumm nur, wenn der Beleidigte das dahingemurmelte dann auch versteht.

Also ich mag ihn, aber ich habe hier dem Chef von myspace, also Ruppert Murdoch persönlich versprochen, dass ich schreibe, wenn was verrücktes passiert. Und das ist ziemlich verrückt. Das ganze Drama könnt Ihr Euch anhören auf der Manuellsen Fans Seite und dann einfach auf „Ihr bringt mich dazu“ klicken.

Weniger verrückt, dafür aber von einer schweren Schockwelle in der Hip Hop Gemeinde begleitet, war die Nachricht, dass Optik Records, das Label von Kool Savas die Pforten schließt. Das hört sich erst mal dramatischer an, hat aber in der Realität kaum Auswirkungen. Wie mein Freund Nico nämlich treffend analysiert hat, wird sich im echten Leben nichts ändern. Amar, Caput und Mo Mitchell werden, wie all die Jahre zuvor, NICHTS veröffentlichen und der Rest der Künstler wird, wie zuvor auch, über eigene Kanäle releasen. Und auch Savas wird auf die eine oder andere Art im Geschäft bleiben, wobei man jetzt darüber sprechen muss, ob es tatsächlich noch ein Geschäft ist.
Denn die zweite Nachricht, die mich nach dem Urlaub ereilte und komischerweise gar nicht so große Schockwellen hervorgerufen hat ist folgende: BMG, also Bertelsmann zieht sich aus dem Musikgeschäft zurück und verkauft seinen Anteil an die Sony zurück. HALLO? Ich meine: Freunde!!! Aufwachen!!! Einer der größten Medienkonzerne der Welt stellt fest, dass er in einem Markt aktiv ist, der sich nicht mehr rentiert oder rentieren wird und zieht sich zurück. DAS ist das Signal. Nicht ob Optik Recors zumacht oder Royalbunker oder selbst wenn Aggro oder Ersgutejunge schließen würden. Egal! – BMG ist raus und ich verspreche es Euch jetzt in die Hand. Das sind nur die ersten. Die anderen ziehen nach. Und…???? Das alles ist gar nicht so schlimm. Ich finde das gut. Das ist wunderbar. Endlich!!!!!!

Warum?

Jetzt kommt ein kleiner Vortrag.

Wenn wir uns die Geschichte der Musik anschauen, dann glaube ich, dass die Menschen Musik gemacht haben, seit sie auf zwei Holzstöcken einen Beat erzeugen konnten. Irgendwie scheint es für den Menschen aus irgend einem Grund, wahnsinnig wichtig zu sein, Musik zu machen. Die Vorstellung, dass ein Künstler mit seiner Musik Geld verdient oder besser gesagt, die Vorstellung, dass überhaupt so etwas wie eine Künstlerpersönlichkeiten existiert, gibt es vielleicht seit grob 200 Jahren. Beethoven war einer der ersten, der diese Position für sich in Anspruch genommen hat. Davor waren die Musiker eine Art Handwerker, angestellt bei irgendwelchen Bischöfen oder Grafen, zwischen Tischler und Kutscher und eben nicht viel mehr Wert als das übrige Gesinde, bei dem sie ja auch essen mussten/durften.

Die Vorstellung, dass man mit konservierter Musik Geld verdienen kann, ist noch nicht einmal 100 Jahre alt. Wahrscheinlich entstanden die ersten richtigen Plattenfirmen in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Wir reden hier also über eine Industrie, die gerade einmal 90 Jahre alt ist. Natürlich haben sich die Plattenfirmen zu irgendeinem Zeitpunkt so verhalten als wäre ihr Geschäft das aller-, allerwichtigste auf diesem Planeten. Natürlich haben sie sich aufgrund von Milliarden Umsätzen und diversen kolumbianischen Nahrungsergänzungsmitteln ein unfassbares Ego angefressen und wirklich gedacht, dass sie etwas sehr, sehr wichtiges für die Menschheit tun. Natürlich haben sie gedacht, dass das ihre Welt ist und wir nur darin leben. Konsumenten, die man mal hierhin und dorthin schicken kann. „Hey da generieren wir mal einen Hype. Das Thema boxen wir durch. Los, lass uns die Kampagne starten. Da geben wir jetzt alle Gas.“ Hahaha. Jetzt ist es vorbei. Aus. Ende. Der eine merkt’s früher, der andere später. Aber was bleibt ist 90 Jahre Musik Industrie gegen 4 Millionen Jahre Musikgeschichte. Ein Wimpernschlag im Zeitkontinuum. Insofern. Nicht weinen! Es ist wirklich nicht schlimm, dass sich diese selbstüberschätzte Branche voller untalentierter Langweiler, die nichts anderes zu tun haben als das Talent anderer Leute auszuschlachten nun langsam selbst zersetzt. Willkommen im Mittelalter.
Denn genau so wenig wie die Menschen aufhören werden, Sex zu haben, werden sie aufhören Musik zu machen. Es ist nur wieder wie Früher. Also wie richtig Früher. Früher, als die Menschen sich nach ihrer Broterwerbsarbeit zum Feierabend auf dem Marktplatz getroffen haben und diejenigen, die gut Geige gespielt haben, dort eben Geige gespielt haben und diejenigen, die besonders gut Geige gespielt haben, auch am Wochenende Geige gespielt haben, auf irgendwelchen Hochzeiten und Dorffesten: GEGEN GELD! Vielleicht konnten sich damit einige, besonders gute Geiger, sogar ihr ganzes Leben damit finanzieren, auf jeden Fall war es aber so, dass nur die Leute damit Geld verdient haben, die A) wirklich Musik machen wollten und B) die wirklich Talent hatten. Das ist doch schön. Das ist doch super. Da freue ich mich und ich freue mich auch darüber, dass so etwas schönes wie Musik aus so etwas hässlichem wie dem sogenannten Verwertungsprozess herausgenommen wird, denn nichts ist Schrecklicher, wie wenn diese Plattenfirmenmenschen anfangen von Produkten zu sprechen.

Und das schreibe ich so, weil ich diesmal lange darüber nachgedacht habe. Und solange mich Manuellsen das noch denken lässt in seinen Träumen, solange schreibe ich das auch noch auf.

staiger