Re: The Sound of German HipHop

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cassavetes

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„Tagesspiegel“-Redakteur Sebastian Handke (von nichts eine Ahnung, zu allem eine Meinung) erörtert die Frage „Wie gefährlich ist HipHop?“:

Wo ich bin, ist unten oben

Wie gefährlich ist Hiphop? Heute findet das Berliner Konzert gegen Jugendgewalt statt – mit dem umstrittenen Rapper Bushido.

Wenn es heute am Brandenburger Tor zum musikalischen Bekenntnis „Gegen Gewalt an Schulen“ kommt, dann wird einer dabei sein, den viele für das eigentliche Problem halten. Mit dem umstrittenen Rapper Bushido, dessen Texte mit Schwulenverachtung und Gewaltverherrlichung auf sich aufmerksam machen, hat sich das veranstaltende Jugendmagazin „Bravo“, so scheint es, den Brandstifter gleich mit ins Haus geholt. Schwulenverbände jedenfalls kündigten Gegenveranstaltungen an. Seit Wochen hagelt es wütende Proteste.

Der neue deutsche Grob-Hop wirkt auf viele wie ein Schock. Er zerrt verdrängte Realitäten ans Licht, unschöne Parallelwelten, die sich plötzlich auftun in den Hinterhöfen der Wohlstandsgesellschaft. Alles, was die jungen Herren Diffamierendes über Frauen und Homosexuelle und an gewaltsatten Bildern zum Vortrag bringen, wurde längst gesagt und vielfach versendet – in englischer Sprache und von amerikanischen Rappern. Wenn jetzt der Straßenschmutz seinen Weg ins Kinderzimmer findet, dann kommt er nicht mehr aus der Bronx, sondern aus Tempelhof, Neukölln und Märkischem Viertel. Man kann nicht anders als hinhören. Vorbei ist’s mit aufgeklärtem Oberschüler-Rap der Beginner und von Freundeskreis. Pitbullhalter und Vorstadtaraber, geplatzte Träume und Drogenexzesse, das sind die Lebenswelten, die ihren Ausdruck heute im Hiphop suchen.

Erstaunlich ist daran nur, dass es so lange gedauert hat. Denn es gibt kaum eine Ausdrucksform, in der diese Jugendlichen sich besser artikulieren könnten. Das hat mit der Geschichte des Hiphop zu tun, der schon seinem Ursprung nach ein Sprachrohr ist für Verlierer und Außenseiter, aber auch mit seinen Mitteln: Musikalische Bildung und aufwendige Ausstattung sind nicht nötig; alles, was man braucht, sind Rhythmus und Wort. Statt zu prügeln, misst man sich bei verbalen „Battles“ – nicht nur mit Können, sondern immer schon mit Beleidigung, Großmäuligkeit, Angeberei. Mit einer gewissen Zwangsläufigkeit brachte dieser Ritus gegenseitigen Hochschaukelns jenen Gangsta-Rap hervor, den Sido, Bushido und Kollegen nun imitieren. Ob sie wirklich erlebt haben, wovon sie erzählen, ist gar nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass sie es in einer Sprache und Gestik tun, mit der sie sich auf der Straße durchgesetzt haben.

Was sich in ihren Reimen artikuliert, ist ein archaisches Modell männlicher Selbstbehauptung in gesellschaftlicher Randlage: Seht her, da, wo unten ist, bin ich immer noch oben. Kein Zufall, dass vor allem Migrantenkinder diesen Hiphop für sich entdecken: als musikalische Weltsprache, in der auch Randständige laut und vernehmlich „Ich“ sagen können. Es steckt ein Stück Kulturkampf in der Musik, ausgetragen nicht im Musikalischen selbst, sondern mit der Attitüde fremdländischen Machismos, der hier sowohl als Klassen- wie auch als Herkunftszeichen eine Art Gruppenidentität stiftet gegen den weichen und als „schwul“ verachteten Konsens zentraleuropäischer Bürgerlichkeit. Bemerkenswerte Dynamiken kommen da zum Tragen: Der Aggro-Rapper Fler etwa gewöhnte sich deutschnationale Töne an, weil er unter aufrechten Türken und stolzen Arabern mit ähnlicher Haltung bestehen wollte. Für diese jungen Männer bedeutet Hiphop: Würde behaupten, Spaß haben. Und reich werden bitteschön auch, wenn’s geht.

Mit dem kommerziellen Erfolg wird das Roh-Authentische allerdings zur Pose. Das Gewicht verschiebt sich – von einer Musik, die mehr Ausdrucksform als Ware war, zu einem Produkt, das mehr Ware ist als Ausdruck. Aus der Selbstpräsentation im Hiphop wird die Selbstinszenierung im Pop. Die ehemaligen Kleinkriminellen aber bleiben Gefangene der eigenen Erzählung: Im Gegensatz zu einem Künstler wie Eminem, der sich von Beginn an als dunkel schillerndes Pop-Produkt verkaufte und den Rollenwechsel zum Prinzip machte, bleiben sie gebunden an eine Rolle, die spätestens mit dem dritten Album zur Farce wird. „Das hier ist das 7. Album“, textet Bushido auf seiner neuen Single „Alles verloren“ mit Blick auf seine nächste Woche erscheinende CD, „und ich bewahre immer noch die Haltung.“

Überraschend ist es nicht, dass die vulgären Posen des Straßen-Rap nach Deutschland gelangt sind. Erstaunlich ist aber doch, wie gründlich alles andere davon in den Hintergrund gedrängt wurde. Wenn demnächst der Film „Leroy“ in die Kinos kommt, eine Komödie über die Nöte eines jungen Afrodeutschen, wird man eine Musik wieder hören können, die im Gegensatz zur Aggro-Schule ganz und gar nicht verkniffen ist, sondern frei und funky – gespielt von Musikern, die zwar auch mit ihrem Dasein als Migrantenkinder ringen, aber weniger die Abgrenzung suchen als Gemeinsamkeiten und Mischformen.

Denyo von den Beginnern hat diesen Soundtrack bewusst als Gegenentwurf zur Monokultur des Aggro-Raps zusammengestellt. Es ist sehr schwierig geworden, sagt er, diese Musik überhaupt noch zu veröffentlichen, weil „Bravo“, „Bild“ und „Viva“ – und damit auch die großen Leitlabels – nicht daran interessiert sind, wenn sie stattdessen mit Leuten wie Bushido und Massiv ein ganz anderes Erregungspotenzial anzapfen können.

Gewiss, Pop ist ein bewährtes Mittel, um sich abzusetzen, sei es in hedonistischer Verweigerungshaltung oder in der Pose des Rebellen. Inzwischen gibt es zwar nicht mehr viel, vor dem Eltern und Lehrer zurückschrecken, zumal Popmusik längst keine exklusive Jugendkultur mehr ist. Wer heute jung ist, muss damit klarkommen, dass schon die Großeltern gekifft haben. Manche Reflexe funktionieren allerdings immer noch gut, und an entsprechender Pöbelmusik für die Trotzphasen daheim hat es auch in letzter Zeit nicht gefehlt.

Der Fall Bushido & Co liegt allerdings ein wenig komplizierter. Denn Hiphop ist nicht nur Hitparadenfutter. Hiphop bildet für viele eine ganze Welt: Wie kaum eine andere Jugendkultur durchdringt er Alltag, Stil und Haltung jener, die ihm zugeneigt sind. Die Rapper setzen voraus, dass ihre Hörer erkennen, inwieweit ihre Ghetto- Beichten überzogen sind. „Wie in jeder Kunst“, sagte Bushido in einem Interview, „steckt auch in meinen Raps ein guter Schuss Fiktion.“ In einem Werte- und Zeichensystem aber, das kaum etwas so wichtig nimmt wie die Authentizität und „Realness“ seiner Künstler, ist nicht für jeden Hörer zu jeder Zeit auszumachen, wo Realität aufhört und Fiktion anfängt. Auch nicht für jene, die diese Musik hören, weil sie die eigene Lebenssituation darin finden – das „Ghetto“ und der Künstler bestätigen und verstärken einander in ihrer Einstellung zur Welt. Der Tonfall in den Schulhöfen, berichten Lehrer, hat sich in den letzten Jahren denn auch erkennbar verschärft. Es ist wieder schwerer geworden, sich als Homosexueller zu offenbaren; junge Frauen werden „Huren“, „Schlampen“ oder „Fotzen“ gerufen.

Etliche Mädchen halten das aus, sind entweder genervt oder lachen darüber, dass man so gar nichts mit ihnen zu tun haben will. Die Jungs aber schmoren im eigenen Saft. Es sind recht bürgerliche Ziele, die ihnen von nicht mal einer Handvoll deutscher Hiphop-Stars vorgeträumt werden. Ziele, die sie allerdings kaum erreichen können, wenn sie archaische Rollenbilder pflegen, während sie in der Schule von den Mädchen überflügelt werden. Sie ziehen sich zurück in eine patriarchale Scheinwelt und setzen sich so fest in jenem Verlierer-Ghetto, das sie doch eigentlich hinter sich lassen wollen.