Re: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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friedrich

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Vor ein paar Tagen habe ich Love & Mercy gesehen. Heute vor 50 Jahren wurde Pet Sounds veröffentlicht. Guter Anlass, hier mal ein paar Worte zu schreiben.

Love & Mercy (Bill Pohlad, 2014)

Mein kalifornischer Alptraum …

… so hieß eine Autobiografie des Beach Boys Kopfes Brian Wilson mit deutschem Titel (im Original: Wouldn’t It Be Nice). Von dieser Autobiografie distanzierte sich BW aber später, da er zum Entstehungszeitpunkt unter dem Einfluss seines Psychotherapeuten Dr. Eugene Landy stand, der die Biografie in seinem eigenen Sinne zurechtbog.

Der Titel „Mein kalifornischer Alptraum“ könnte aber auch gut für dieses Biopic taugen. Der ebenso geniale wie manische und perfektionistische Musiker Brian Wilson driftet in den späten 60ern ausgebrannt und von Streitereien mit seinen Bandkollegen zermürbt immer weiter in eine Welt von paranoiden Wahnvorstellungen und Drogen- und Fresssucht und verschwindet jahrelang von der Bildfläche. Durch das herrische Regime des manipulativen Dr. Landy kommt er zwar Jahre später wieder auf die Beine, gerät aber in dessen Abhängigkeit. Der Zusammenbruch selbst und der Beginn der Therapie wird im Film nicht gezeigt. Stattdessen springt der Film zwischen den 60er und den 80er Jahren, also zwischen Vorher und Nachher, hin und her. Ein interessanter Kniff, der auch noch dadurch verstärkt wird, dass der junge und der alte BW von zwei verschiedenen Schauspielern (Paul Dano bzw. John Cusack) gespielt wird.

Für das Drehbuch ist Oren Moverman verantwortlich, der auch schon das Bob Dylan-Biopic I’m Not There schrieb. Vielleicht ist die Idee, den Protagonisten von verschiedenen Darstellern spielen zu lassen von da übernommen? Jedenfalls sind der BW der 60er und der BW der 80er zwei verschiedene Menschen, die eine Metamorphose durchgemacht haben. Vor allem Paul Dano (BW, der Jüngere) ist großartig und auch John Cusack (BW, der Ältere) liefert eine überzeugende Leistung ab.

Love & Mercy ist Faction, mit einem wahrscheinlich recht hohen Wahrheitsgehalt. Ob aber die blonde Autoverkäuferin Melinda Ledbetter, die sich 1986 in BW verliebt, ihn tatsächlich wie ein gottgesandter Engel allein aus den Klauen von Dr. Landy befreite oder ob seine Familie auch Anteil hatte, sei dahingestellt. Und ob das wirklich so ein Happy End war? In jedem Fall ist Love & Mercy ein beeindruckendes Psychogramm der gequälten Künstlerseele Brian Wilson. In Anbetracht der grotesken Ereignisse in BWs widersprüchlichen Leben, der extremen Höhen und Tiefen von Weltruhm und Selbstmordversuchen, überschäumender Kreativität und tiefer Depression, Kontroll- und Drogensucht würde ich mir aber fast einen Film wünschen, der noch tiefer in diese Abgründe eintaucht. Es mag Voyeurismus sein, aber ich will dann doch mal den 3 Zentner-Brian Wilson der 70er Jahre verwahrlost in seinem Bett liegen sehen.

Danach unbedingt Pet Sounds anhören! Die Darstellung der Studioaufnahmen zu diesem Album sind ein Höhepunkt des Filmes.

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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)